Doch die lange Bauzeit ist nicht das Hauptverdienst der schmucken Limousine

Falls es den seidenen Faden, an dem das Wohl und Weh des Hindustan Ambassador hing, jemals gegeben hat, dann ist er jetzt gerissen: 240 Manager der Hindustan-Motors-Fabrik in Uttarpara wurden nun gefeuert. Damit hat der älteste Autohersteller Indiens seiner Produktionsanlage im Bundesstaat Westbengalen endgültig den Stecker gezogen.

Bereits vor zwei Wochen kündigten die Inder an, 2.300 Arbeiter auf die Straße zu setzen – ein Vorgang, der im Rest der Welt wohl nur von intimen Kennern der indischen Autoproduktionsszene zur Kenntnis genommen worden wäre, wenn mit der Massenentlassung nicht auch das Ende einer fahrenden Antiquität einhergehen würde, die das Bild des Subkontinents über Jahrzehnte hinweg geprägt hat: der Hindustan Ambassador.

(Angeblich) Weltrekordhalter

Unfassbare 57 Jahre lang wurde die Limousine nahezu unverändert gebaut. Damit galt der barocke Inder als der Weltrekordler in der windelweichen Disziplin "Auto, optisch nahezu unverändert noch immer gebaut". Auskenner könnten auch den im Jahr 1936 wurzelnden Morgan 4/4 voran sehen. (Andere Auskenner posten bitte im Forum ihren Weltrekordhalter.)

Der Hindustan Ambassador jedoch hat sich abseits der ewig langen Bauzeit vor allem eine Auszeichnung verdient: jenes Modell zu sein, das die Entstehung und den internationalen Aufstieg einer eigenen indischen Automobilindustrie erst ermöglichte. Heute gehören Jaguar und Land Rover zum indischen Multi Tata Motors. Alle wesentlichen westlichen und fernöstlichen Hersteller lassen am Subkontinent fertigen oder sind in Joint Ventures engagiert, 2013 wurden 2,56 Millionen Fahrzeuge abgesetzt – und das, obwohl der Markt aufgrund einer anhaltenden Absatzkrise um 7,3 Prozent nachgab.

Eine Krise, die nicht zuletzt dem Steinzeit-Stufenheck namens Ambassador das Licht ausknipste. Eine Hommage in Bildern:

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1958 nahm der Hindustan Ambassador in Indien Fahrt auf. Und die elegante Limousine mit der markanten Nase kam an: In guten Zeiten hatte der "Amby" gerufene Wagen Marktanteile von bis zu 70 Prozent. Hohe Importzölle und die Tatsache, dass Hindustan Motors lange Zeit der einzige Autohersteller Indiens war, zeichneten für diese Zahlen verantwortlich.

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Damals war der Besitz einer Hindustan-Limousine ein klarer Hinweis, zur politischen Elite des Landes zu gehören. Heute ist der Ambassador ein liebevoll gepflegtes Rückgrat des indischen Taxigewerbes.

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Die Motorisierungen wuchsen mit dem Alter, zum Schluss gab eine ansehnliche Palette an Antrieben: Benziner, Erdgas, Flüssiggas, zwei Dieselmotoren. Die Topmotorisierung brachte 72 PS an die Hinterräder.

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Wo alles begann: Die Hindustan-Motors-Fabrik in Uttarpara. Die erste große Produktionsanlage des im Jahr 1942 gegründeten Herstellers. 1948 wurde eröffnet, 1958 liefen die ersten Ambassadore vom Band.

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Die Produktionsbedingungen waren anfangs durchaus modern - Geld für Investitionen nahmen die Eigner aber nicht wirklich in die Hand. Sie glaubten, der Amby verkaufe sich nur über seine Meriten: Robustheit, reichlich Platz (zwei durchgehende Sitzbänke) und das als besonders stark gelobte Kühlgebläse.

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Gegen Bestpreis-Geräte wie den Maruti Suzuki 800 hatte der Wagen damit keine Chance. Vergangenes Jahr wurden bloß 2.200 Einheiten verkauft.

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Abseits der robusten, aber wenig aktuellen Technik (Blattfedern und Trommelbremsen hinten) tat sich der Ober-Hindustan vielleicht auch mit seinem wenig modernen Auftritt schwer. Der hat seinen Ursprung immerhin im Jahr 1948.

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Vorlage war der Morris Oxford, der nach zwei Updates im Jahr 1956 zum Oxford III gereift war. Ein Jahr darauf verhökerten die Briten die Vorlage inklusive Pressformen und Technik-Dokumentation an die ehemalige Kronkolonie.

Ab 1958 war der in Hindustan Ambassador umbenannte Beute-Brite mit zarten optischen Retuschen unterwegs. Anfangs mit einem Vierzylinder-Benziner mit 56 PS.

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Im Laufe der Jahrzehnte durchlief das Modell einige Facelifts. Änderungen an Stoßstangen und Interieur sowie die Erweiterung der Motorenpalette waren die wichtigsten Maßnahmen.

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Neue Namen gab es auch: Anfang der 1990er startete der Ambassador 1800 IZ (mit Isuzu-Motor), Ende der 1990er kam der Ambassador Nova (neues Lenkrad zum Beispiel).

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Viel wurde versucht, aber nichts unternommen: So sieht der aktuelle Ambassador aus. Wer auf indischen Retro-Chic steht, sollte jetzt noch eine Bestellung absenden.

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Trotz des Produktionsendes sollte der Ambassador noch länger Teil des indischen Straßenbilds sein. Vor allem die hiesigen Taxifahrer schwören noch immer auf den "Amby".

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Mit dem Nimbus des Kultgefährts ausgestattet, wird das barocke Faktotum wohl nicht so schnell verblühen. (sts, derStandard.at, 10.6.2014)

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