An den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der alliierten Landung in Nordfrankreich drehte sich alles um Wladimir Putin. Die westlichen Vertreter der ehemaligen Allianz gegen Hitler-Deutschland bemühten sich, den russischen Präsidenten zu einer "Stabilisierung der Lage insbesondere in der Ostukraine" zu bewegen, wie Angela Merkel sagte. Die deutsche Kanzlerin traf Putin zu einem Gespräch, das offensichtlich in einem frostigen Klima stattfand. Merkel wollte vor den Fernsehkameras partout kein Lächeln aufsetzen.
Eher überraschend traf auch US-Präsident Barack Obama mit dem Kremlchef zusammen. Ihr erster direkter Austausch seit Beginn der Ukraine-Krise sei lediglich ein "informelles Gespräch" gewesen, ließ das Weiße Haus darauf verlauten. Putins Sprecher präzisierte immerhin, die Vertreter der beiden Großmächte hätten "ihre Meinungen über die Lage in der Ukraine und die Krise in der Ostukraine ausgetauscht".
Am Vorabend schon hatte der britische Premier David Cameron ein Treffen mit Putin dazu benützt, um ihm gemäß seiner Sprecherin einige "sehr klare und sehr deutliche Botschaften" mitzuteilen. Der französische Präsident François Hollande hielt sich als Gastgeber des D-Day-Tages etwas mehr zurück. Mit Merkel traf er dafür demonstrativ herzlich den neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Zusammen begrüßten sie Putin, der Poroschenko die Hand schüttelte und mit ihm einige Worte wechselte. Laut westlichen Diplomaten kam diese Geste einer "Quasi-Anerkennung" des Ukrainers gleich. Ob das Moskau auch so sieht, muss sich am Samstag bei der Amtseinsetzung Poroschenkos in Kiew zeigen.
Kontaktaufnahme
Auf jeden Fall erfüllte Putin mit der Kontaktnahme zum ukrainischen Präsidenten eine Forderung der G7-Staaten. Sie hatten am Donnerstag mit einer Verschärfung der Sanktionen gegen Moskau gedroht.
Am Rande der internationalen Zeremonien in der Normandie wurde auch bekannt, dass der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein polnischer Amstskollege Radoslaw Sikorski am kommenden Dienstag nach St. Petersburg reisen wollen. Dabei dürften sie eine Lösung des Gaskonfliktes anstreben, nachdem Russland der Ukraine wegen unbezahlter Rechnungen mit dem Abdrehen des Gashahns droht.
Die schwerste Sicherheitskrise in Europa seit dem Fall der Berliner Mauer überschattete das "Fest der Freiheit", das zum D-Day-Jahrestag die früheren „Siegesfeier“ der Alliierten USA, England, Russland, Frankreich, Kanada und anderer ersetzte. Nach der Annektierung der Krim durch Russland vor drei Monaten meinte Merkel in einem Beitrag in der Lokalpresse, es bestehe die Sorge, dass "neue Gräben und Trennlinien" entstünden.
Die deutsche Regierungschefin erhielt bei ihrem Eintreffen an der internationalen Zeremonie in Ouistreham offenen Applaus. Unter den 7000 Ehrengästen befanden sich viele Kriegsveteranen aus Übersee. Beim 60. Gedenktag des D-Day im Jahre 2004 hatte mit Gerhard Schröder erstmals ein deutscher Kanzler teilgenommen; sein Vorgänger Helmut Kohl hatte entsprechende Einladungen noch abgelehnt. Jetzt machte es fast den Eindruck, als ob die Deutsche am besten in der Lage sei, zwischen den ehemaligen Alliierten USA und Russland zu vermitteln. (Stefan Brändle aus Caen, derStandard.at, 6.6.2014)