"Beim Drehen der Szene hätte ich ein Butterbrot daneben essen können." Erni Mangold, abgeklärt.

Foto: Robert Newald

Wien - Erni Mangold ist angeschlagen. Eine alte Schulterverletzung ist wieder akut geworden, bereitet Dauerschmerz. Sie trainiert, therapiert, aber der gewünschte Erfolg stellt sich nicht ein. Das hindert die 87-Jährige freilich nicht daran, eine Stunde nach dem Gespräch mit dem Standard auf die Bühne zu eilen, um im Stück Joseph und seine Brüder akrobatische Einlagen abzuliefern. "Das Publikum wird nichts bemerken, aber ich bin vorsichtiger", verspricht sie.

Erni Mangolds voller Körpereinsatz spielt auch im Film Der letzte Tanz von Houchang Allahyari eine Rolle, in der sie eine Geriatriepatientin spielt, die mit einem jungen Pfleger zarte Bande knüpft. Am Ende kommt es zu einer ungemein zart gefilmten Sexszene - der ersten überhaupt, die Mangold je drehte.

STANDARD: Eine Sexszene mit 87. Wie fühlt sich das an?

Mangold: Das ist eine Frage, die ich leicht beantworten kann: überhaupt nicht. Die Machart ist keine Schwierigkeit. Beim Drehen der Szene hätte ich ein Butterbrot daneben essen können. Als ich das Drehbuch las, hatte ich allerdings schon ein Problem: Ich wusste, dass das eine sehr, sehr heikle Sache werden könnte. Dass diese Vereinigung zwischen den beiden nicht zu viel ist und nicht unangenehm rüberkommt, sondern in einer Unaufdringlichkeit. Da habe ich mir viel überlegt.

STANDARD: Ist das eine Männerfantasie: Der Mann setzt eine gute Tat und beglückt eine Sterbende?

Mangold: Mein Gott, wo steckt nicht Männerfantasie dahinter? Überhaupt wenn ein Mann das Drehbuch geschrieben und Regie geführt hat! Soweit ich den Houchang aber verstehe, ging es ihm darum, ein Tabu etwas aufzureißen. Umgekehrt wissen wir ja, alter Mann und junge Frau ist akzeptiert. Man lacht zwar darüber und sagt: Na, ob's der Alte noch bringt. Aber mehr auch wieder nicht.

STANDARD: Sex im Alter wird ja ganz gern als Tabu bezeichnet: Wie geht der innere Kreis damit um?

Mangold: Die alten Leute sollte man in der Hinsicht endlich in Ruhe lassen. Wenn sie Zärtlichkeiten suchen und Streicheleinheiten brauchen, dann ist das doch ganz normal. Es geht nicht um Sex. Es geht um Zuneigung und - um das jugendlich zu formulieren - darum, Schmetterlinge im Bauch zu spüren.

STANDARD: Es gibt Altersheime, in denen Intimität verboten ist.

Mangold: Ganz oft stecken da die Angehörigen dahinter. Der Umkreis rümpft die Nase und sagt: Muss sie das haben?

STANDARD: Und: Muss sie?

Mangold: Wenn die Kirche und das Beten genügt, dann nicht. Beim Sex bin ich immer noch der Meinung, je enger man sich zusammenfindet, desto schöner wird's.

STANDARD: Sex ohne Liebe hat immer auch mit Macht zu tun. Wie ist das in der Schauspielerei?

Mangold: Früher war es grauenhaft. Als ich in den Fifties zum Film kam, hatte ich das Gefühl, man kann erst einen Vertrag unterschreiben, wenn man mit dem Herrn ins Bett geht. Ich kämpfte immer dagegen an und ließ mich nie darauf ein.

STANDARD: Haben Sie deshalb auch Rollen nicht bekommen?

Mangold: Franz Antel zum Beispiel hat mich nicht genommen. Die Herren waren ohne jede Scheu. Als ich vierzig Jahre alt war, drehte ich trotzdem mit ihm.

STANDARD: Wurde es besser?

Mangold: Als ich nicht mehr so jung und putzig war, ließ es nach.

STANDARD: Trotzdem hängt Ihnen bis heute der Ruf des lustigen Mädchens nach. Nichts Wahres dran?

Mangold: Der Witz ist der, dass ich im Grunde genommen scheu war, was das betraf. Vielleicht war ich auch sehr heikel mit mir selbst und nicht sehr bereit, mich hinzugeben. Wenn ich es gemacht habe, dann hat es mir sehr gefallen.

STANDARD: Machen Ihnen heute Männer auch noch Avancen?

Mangold: Vor einigen Jahren bekam ich einen Anruf von einem 62-Jährigen, der mir auf den Nerv ging.

STANDARD: Erleben Sie Altersdiskriminierung?

Mangold: Als ich bei meinem letzten Angebot für eine Fernsehrolle mit zwölf Drehtagen in Deutschland war, lehnte mich die Versicherung ab. Der Arzt sagte, es sei alles okay. Der Versicherung war das gleichgültig: Ich sei zu alt und damit basta. Ich bekam die Rolle nicht. Das hat mich fast in eine Depression geworfen.

STANDARD: Das heißt, die achtzigjährigen Figuren werden künftig nur noch von 70 abwärts gespielt?

Mangold: Es muss sich etwas ändern. Michael Heltau sagte dazu: "Weißt du, uns beide kann man halt nicht mehr einreihen." (Doris Priesching, DER STANDARD, 7./8./9.6.2014)