Zehn effektvolle Tanzszenen: "Deca Dance".


St. Pölten - Plakativ ist dieses Wortspiel schon: Deca Dance. So heißt das Stück der berühmten israelischen Batsheva Dance Company, mit dem das Festspielhaus St. Pölten nun seine Saison geschlossen hat. Aber das Plakative ist eine Falle. In den enthusiastischen internationalen Kritiken der 2000 uraufgeführten Arbeit wird jedenfalls nie gefragt, worauf die "Dekadenz" darin abzielt.

Vielleicht, weil Deca Dance verspielter bleibt als etwa die Produktion Sadeh21, die das Tanzquartier Wien vergangenen Oktober gezeigt hat. Und weil die Idee des Batsheva-Starchoreografen Ohad Naharin, zehn effektvolle Szenen aus einigen seiner früheren Werke aneinanderzukleben, nicht sehr originell ist.

Das verleitet dazu, Deca Dance einfach für eine Leistungsschau zu halten. Was sich, zumindest bei der im Festspielhaus von der Jugendtruppe der Compagnie, dem Batsheva Ensemble, gezeigten Version, als Unterschätzung erweist. Denn unter den Oberflächen der virtuosen Technik sind sehr wohl die Spannungsfelder zu erkennen, unter deren Einfluss die israelische Truppe arbeitet.

Anfangs im Stück zeigte sich das 16-köpfige, gemischtgeschlechtliche Ensemble als Versammlung aus geknickten und verdrehten Körpern. Ein Zitat aus Naharins Seder von 2007. Dieses Tanzzitat mündete in den Anfang des Gedichts Making It aus dem Buch Mockingbird Wish Me Luck von Charles Bukowski: "ignore all possible concepts and possibilities --- / ignore Beethoven, the spider, the damnation of Faust --- / just make it, babe, make it: ..."

Diese Lyrik wurde ursprünglich in Naharins Quintett George & Zalman (2006) eingesetzt. Darin tanzen, bewusst steif und fragil, ausschließlich Frauen. In seiner dem St. Pöltener Publikum vorenthaltenen Fortsetzung geht dieser Text so weiter: "... a house a car a belly full of beans / pay your taxes / fuck / and if you can't fuck / copulate." In Deca Dance folgte stattdessen ein Tableau vivant aus einer düster beleuchteten Gruppe, das Naharins Choreografie Max entnommen ist. Mit dieser hatte die Batsheva Dance Company übrigens 2008 im Tanzquartier ihren allerersten Österreich-Auftritt.

Publikumsbeschimpfung

Wenig harmlos bei Deca Dance ist auch eine spätere Sequenz, in der sich fünf Tänzer mit schwarzer Farbe beschmieren. Sie ist einem Stück mit dem auf Paul Celans berühmte Todesfuge bezogenen Titel Black Milk (1990) entnommen. Oder ein Exzerpt aus Naharin's Virus (2001), das auf Peter Handkes Publikumsbeschimpfung referiert und Musik des palästinensischen Komponisten Habib Alla Jamal enthält.

Spätestens, wenn die Tänzer, in schwarzen Anzügen und mit Schlapphüten als dunkle Mächte kostümiert, einige Zuschauerinnen zu Tänzchen auf die Bühne holten, zeigte sich die Ambivalenz, mit der Naharin jongliert. In der Schlussszene (aus Anaphase von 1993) bildeten die dunklen Mächte einen Halbkreis auf Sesseln und zogen sich zu den Klängen von Hava Nagila und Echad Mi Yodea bis auf die Unterwäsche aus. Das schließlich ist Ohad Naharin Dekadenzdarstellung. Standing Ovations. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 7./8./9.6.2014)