Wenn der Staat Jobs schaffen will, muss er seine Ausgaben kürzen, sagt Alberto Alesina.

Foto: EU-Kommission

Wien - Alberto Alesina ist so etwas wie der Pate der Austerität, auch wenn er das Wort selbst nicht mag. "Es macht uns glauben, dass unabhängig von den konkreten Maßnahmen des Staates immer dasselbe herauskommt", sagt der Italiener, der auf Einladung von Wirtschaftskammer und Institut für Höhere Studien in Wien war, im Gespräch mit dem Standard. Es gebe aber einen großen Unterschied. Wenn Staaten ihre Ausgaben kürzen, dann sei das für das Wirtschaftswachstum viel verträglicher, als wenn sie die Steuern erhöhen. Das ist auch seine Kritik an der Krisenpolitik Europas, sie habe sich viel zu stark auf neue Steuern konzentriert.

Alesina hat sich in Akademikerkreisen einen Namen gemacht. Nicht nur weil er es nach Harvard geschafft hat, sondern weil er seit langem den Gegenpol zu Keynesianern wie Paul Krugman oder Joseph Stiglitz darstellt. Diese kritisieren Europas Politik für die harschen Sparmaßnahmen, die die Krisenländer noch tiefer in den Strudel ziehen würden. Falsch, sagt Alesina. Ohne Konsolidierungen hätte es noch viel schlimmer werden können. Außerdem würden Bankensektor und überregulierte Arbeitsmärkte die Erholung drücken.

Der Ökonom vertritt im Prinzip das exakte Gegenteil von dem, was Leute wie Krugman sagen. Wenn Staaten ihre Ausgaben kürzen, dann könne das nämlich sogar die Wirtschaft ankurbeln und Jobs schaffen. "Sofern man die Kürzungen mit einem großen Reformpaket verbindet", so Alesina.

Wenn der Staat seine Ausgaben kürzt, dann signalisiere er damit den Menschen niedrigere Steuern in der Zukunft. Diese würden sich dann reicher fühlen, mehr ausgeben und so die Wirtschaft ankurbeln. "Geben Sie einer armen Familie in Südeuropa über niedrigere Steuern 100 Euro mehr im Monat. Das hätte sicher einen Effekt."

Auch ohne Revolution

Generell sind sich die meisten Ökonomen einig, dass eine niedrigere Steuerbelastung gut für das Wachstum wäre. Entscheidend sind aber die Ausgaben, die diese Steuern finanzieren. Kürzt man etwa Stipendien für Studenten aus ärmeren Familien, hätte das den gegenteiligen Effekt. Unlängst hat etwa der IWF in einer Studie geschrieben, dass Umverteilung, sofern nicht zu extrem, wichtig für höheres und stabileres Wachstum ist. Die Aussagen Alesinas widersprechen dem nicht unbedingt. "Ich rede nicht davon, dass Europa ins 18. Jahrhundert zurück soll, wo es keinen Sozialstaat gegeben hat."

Wenn er davon spreche, die Steuern zu kürzen, gehe es ihm um drei, vier oder fünf Prozent der Wirtschaftsleistung. "Die Steuerquote macht bald 50 Prozent des BIPs aus. Wie weit wollen wir gehen?" Die Kürzungen könnte man schaffen, ohne Ärmere in irgendeiner Weise zu schaden. "Man kann Förderungen kürzen, Reiche etwas mehr für Gesundheitsleistungen oder Bildung zahlen lassen und Überflüssiges in der Verwaltung streichen", so Alesina. "Dazu braucht es keine Revolution." Freilich seien Staatsausgaben nichts Schlechtes. In vielen europäischen Ländern sei man aber zu weit gegangen, sagt der Italiener.

Skeptische Beurteilung

In der Ökonomie wird Alesina von vielen skeptisch beäugt. Seine These, mit Einsparungen die Wirtschaft ankurbeln zu können, beruhe in den wenigen funktionierenden Fällen auf sehr niedrigen Kreditzinsen und einer Abwertung der Währung, sagen Kritiker. Beides sei in der jetzigen Situation der Eurozone nicht gegeben. Die Erfahrung der vergangenen Jahre spricht außerdem nicht für Alesina. Die Länder, die am meisten gekürzt haben, sind am wenigsten gewachsen.

Dass die Krise in Europa nun nicht das beste Beispiel für seine Theorien ist, weiß auch Alesina. "In einer idealen Welt hätte man mit dem Einsparen vielleicht ein bisschen warten sollen", sagt er. Und: "Ich bin der Erste, der sagt, dass eine Steuererhöhung in einer Rezession die schlechteste aller Ideen ist." Derzeit arbeitet er an einer Studie, in der sich seine bisherigen Ergebnisse bestätigen würden. So seien Steuererhöhungen viel schädlicher für das Wirtschaftswachstum gewesen als das Kürzen von Ausgaben. "Irland hat fast nur Ausgaben gekürzt, in Italien ist alles auf der Steuerseite gemacht worden." Irland sei jetzt eines der wenigen Länder, die wieder wachsen, Italien aber stecke weiter in der Rezession.

IWF ortet methodische Schwächen

2010 ist auch der IWF in die Debatte um Alesina eingestiegen. In ihrem Weltwirtschaftsausblick warf ihm die Organisation methodische Schwächen in seiner Arbeit vor. Der IWF glaubt nicht, dass die Politik die Wirtschaft durch Kürzungen ankurbeln kann. Alesina nennt die Kritik ungewöhnlich und "akademisch aggressiv".

Obwohl er mit seinen Studien viele Politiker mit Argumente ausstatten könnte, hat er mit dem politischen Spiel nichts am Hut. "Nicht einmal in Italien berate ich irgendjemanden", sagt er. Zumindest vor den Eurofinanzministern hat er seine Ideen 2010 vorgetragen. Großen Einfluss glaubt er aber nicht zu haben. "Politiker können meine komplizierten Studien doch gar nicht lesen." (Andreas Sator, DER STANDARD, 7.6.2014)