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Der Soldatenfriedhof von La Cambe nahe der französischen Stadt Bayeux“.

Foto: Reuters/Hartmann

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Ein britischer Kriegsveteran im Norden Frankreichs.

Foto: Reuters/Pool

Es nieselt - wie so oft am Ärmelkanal. Eine kanadische Familie verzieht sich zum Muschelessen ins Restaurant La Crémaillère. Der Strand bei Courseulles ist menschenleer, nur am Horizont zucken zwei Drachen in den Windböen. Man versucht sich zu vergegenwärtigen, wie es hier "damals" gewesen sein muss. Damals: Das war vor 70 Jahren, als Adolf Hitler einen 2600 Kilometer langen "Atlantikwall" errichtet hatte, um einen Angriff von den Britischen Inseln her zu verhindern. Damals: Das war, als die Alliierten am D-Day die Operation "Overlord" lancierten und 160.000 Mann an der Normandie-Küste absetzten, um das Naziregime in die Knie zu zwingen.

Viel ist von jenem historischen Tag nicht mehr zu sehen; bei Flut sind sogar die Betonblöcke überschwemmt, die Courseulles nach geglückter Landung für ein paar Wochen in den größten Landungshafen Europas verwandelten.

Tod im deutschen Abwehrfeuer

Trotz Wind und Wetter blendend gelaunt, zeigt die Fremdenführerin des Touristenzuges auf ein "Blokos", ein französisch ausgesprochenes "Blockhaus". Damit meint sie einen schief im Sand versunkenen deutschen Bunker. Auf Gummirädern tuckert der kleine Zug durch Courseulles, vorbei an einem Sherman-Panzer im Blumenbeet. Das mit Schiffschrauben versehene Ding war am D-Day im Wasser steckengeblieben und hatte dort 27 Jahre verbracht, bevor es ins Trockene gezogen und restauriert wurde.

Vor dem Museum knattert die kanadische Flagge im Wind; darunter sind auf Marmortafeln die Namen jener 5500 Soldaten eingraviert, die 1944 in der Normandie ihr Leben ließen - alles Kanadier, alles Freiwillige. Auch das muss man sich vor Augen führen, hier am Juno Beach: Der kanadische Strandabschnitt war einer der tödlichsten. Burschen aus Québec und Saskatchewan, Inuit vom Polarkreis, Scharfschützen aus Indianerreservaten waren mehr als 5000 Kilometer weit angereist, um den Terror zu besiegen. Kanadier, die vielleicht nicht einmal wussten, wo die Normandie liegt, starben hier im deutschen Abwehrfeuer. Wie die US-Amerikaner und Briten waren sie im Morgengrauen des 6. Juni 1944 mit 5000 Schiffen gekommen, zur bis dahin größten Militäroperation aller Zeiten.

Deutsche Flagge in Courseulles

Doch in Courseulles-sur-Mer besuchen nicht nur kanadische Touristen die Kriegsstätten: Im Restaurant halten sich zwei Deutsche diskret im Hintergrund. Ein Vater aus Düsseldorf will seinem Sohn zeigen, wo dessen Großonkel 17-jährig umgekommen war. Die Soldatenfriedhöfe der Wehrmacht sind schlecht ausgeschildert. In La Cambe, wo 22.000 Deutsche liegen, wehen keine bunten Wimpel; über den Gräbern stehen keine weißen Kreuze. Nur eine Inschrift: "Dunkel wölbt sich der Hügel über dem Grab der Soldaten, dunkel steht Gottes Gebot über den Toten des Krieges."

Am Dorfeingang von Courseulles weht die deutsche Flagge immerhin als erste in einer Reihe von drei Dutzend weiteren. Heute lebt Frankreich in Freundschaft mit Deutschland. 2004 war mit Kanzler Gerhard Schröder erstmals ein Deutscher zum 60. Jahrestag des D-Day geladen gewesen.

La Cambe stattete Schröder keinen Besuch ab, weil dort auch die sterblichen Reste von SS-Kämpfern vermutet werden. Nur in Ranville, wo neben 2100 Briten auch 322 Deutsche beerdigt sind, legte er einen Kranz nieder. Jetzt, zehn Jahre später, wird Kanzlerin Angela Merkel wie selbstverständlich zu den Zeremonien gebeten.

Die Blicke sind aber auf einen anderen Staatsgast gerichtet: Der französische Gastgeber François Hollande hat auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin eingeladen. Das war noch unumgänglicher als die deutsche Präsenz, denn Putin vertritt immerhin eine wichtige Siegermacht des Zweiten Weltkrieges, obschon sich die Dinge heute verändert haben: Das Nato-Mitglied Deutschland steht fest im westlichen Kreis und setzt sich etwa für eine Deeskalation in der Ukraine ein, während Moskau dort in die Glut bläst.

Russischer Außenseiter

Putin hat angekündigt, er werde zum gemeinsamen Mittagessen in Schloss Bénouville kommen und in Ouistreham an der Hauptzeremonie teilnehmen - mit US-Präsident Barack und anderen Staats- und Regierungschefs. Hollande hat auch den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko eingeladen. Damit versucht er sich als Vermittler - wohl nicht zuletzt, um innenpolitisch Kapital schlagen zu können.

Ansonsten wird der Kremlchef zwar in die Feier eingebunden, aber auch gemieden. Mehrere Staats- und Regierungschefs haben zu verstehen gegeben, dass sie am Tag des Friedens nicht neben Putin auf der Tribüne und beim "Familienfoto" stehen wollen. (Stefan Brändle, DER STANDARD, 6.6.2014)