Wien - Wer in Wien eine psychotherapeutische Behandlung auf Krankenschein braucht, muss der Krankenkasse ab Juli mehr sensible Informationen preisgeben als bisher. Im entsprechenden Antragsformular der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) finden sich künftig nämlich Fragen zu vergangenen Krankenständen und Spitalsaufenthalten, zu etwaigem Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch sowie nach traumatischen Erlebnissen in der Kindheit.
Der Wiener Landesverband der Psychotherapie (WLP) lehnt diesen erweiterten Fragebogen entschieden ab. Es handle sich um eine "zusätzliche Hürde" auf dem Weg zu therapeutischer Behandlung, sagt Vorsitzende Leonore Lerch. Vor rund eineinhalb Wochen hat der Landesverband daher eine Onlinepetition dagegen gestartet. Diese zählte Donnerstagnachmittag rund 2700 Unterstützer.
Auf WGKK-Seite kann man den Widerstand nicht nachvollziehen. Das neue Formular sei seitens der Datenschutzkommission geprüft worden. "Die Behörde hat positiv beschieden", teilte der ärztliche Direktor der WGKK, Reinhard Marek, in einer Aussendung mit - der darin auch anführte, dass sich an der Antragsbearbeitung nichts ändere; Patientendaten seien "genau so sicher wie zuvor". Die Erweiterung der Fragen soll aus Sicht der WGKK Klarheit schaffen und "erspart den Betroffenen unnötige Vorsprachen", hieß es weiter.
Auch die Wiener Gesellschaft für psychotherapeutische Versorgung unterstützt laut einer Aussendung das Vorgehen der WGKK - es ermögliche, "Behandlungsbedürftigkeit schneller zu erkennen und den Betroffenen unangenehme Kontrolluntersuchungen zu ersparen".
Und auch Maria-Anna Pleischl, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie (ÖBVP), will sich der strikten Ablehnung ihrer Wiener Kollegin nicht anschließen. "Wir führen schon seit September letzten Jahres gute Gespräche mit dem Hauptverband", sagt Pleischl. Dabei hoffe man, eine Vereinheitlichung des Formulars in allen Bundesländern thematisieren zu können. In Salzburg werde bereits mehr abgefragt, als dies in Wien bisher der Fall war - dort seien die Daten teilanonymisiert. Die Einführung des umfassenderen Formulars habe damals auch für Diskussionen gesorgt, erinnert sich Pleischl.
Psychotherapeuten kritisieren seit langem, dass in Österreich zu wenige Therapiestunden von den Kassen übernommen würden. Die Zahl der Vertragsfachärzte für Neurologie und Psychiatrie, die auf Kosten der Gebietskrankenkasse in Anspruch genommen werden können, umfasst in Wien gerade einmal 24 Namen - bei denen laut WLP oft sehr lange Wartezeiten bestünden. Zusätzlich besteht zwar die Möglichkeit, bei der Kasse um eine teilweise Kostenrefundierung anzusuchen, diese sei mit 21,80 Euro pro Stunde aber zu niedrig, meint Lerch.
Die WGKK hält dem entgegen, dass im Herbst 2013 eine Therapieplatzdatenbank eingerichtet wurde, anhand derer der tatsächliche Bedarf für Psychotherapie eruiert werden soll. Die Wiener Gebietskrankenkasse übernehmen pro Jahr rund 125.000 Therapiestunden - was einer Betreuung von rund 7000 Personen pro Jahr entspreche.(Gudrun Springer, DER STANDARD, 6.6.2014)