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Bettler im krisengeschüttelten Spanien: Der Befund, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet, gilt für Österreich begrenzt.

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Die Regierungsspitzen hauten sich die Studien der Experten um die Ohren, als säßen sie im Volkswirtschaftsseminar. SP-Chef Werner Faymann bot die EU-Kommission als Kronzeugen auf, um auf seine Millionärssteuer zu drängen. Österreich sei ohnehin schon Meister im Umverteilen, konterte ÖVP-Pendant Michael Spindelegger - und hielt mit Zahlen der OECD entgegen.

Was die Koalitionäre auf der Kleinbühne des Ministerrats ausfochten, sorgt derzeit quer über den Globus für Furore. Schuld ist der französische Ökonom Thomas Piketty, der im Opus magnum Kapital im 21. Jahrhundert sowohl für die jüngere Vergangenheit als auch für die Zukunft eine massiv wachsende Kluft zwischen Arm und Reich ausweist - und eine Vermögenssteuer zum Ausgleich fordert. Doch stimmen Pikettys Thesen auch hierzulande? Wird Österreich immer ungleicher?

Österreich im Mittelfeld

Am einfachsten lässt sich eine Antwort dank genauer Daten für die 3,6 Millionen unselbständig Beschäftigten geben: Ja, die Gutverdiener ziehen den Schlechtverdienern davon. Während der Anteil des obersten Fünftels am gesamten Einkommen von 1995 bis 2010 von 44,4 auf 47,4 Prozent stieg, erodierte das unterste von 2,9 auf 2,0 Prozent; die Bruttobezüge letzterer Gruppe verloren um 27,8 Prozent an Wert, was etwa am starken Zuwachs von Teilzeitjobs liegt.

Als weitere Gründe nennt Christine Mayrhuber vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) verschärften Wettbewerb, den Boom mäßig entlohnter Dienstleistungsjobs sowie den technologischen Wandel, der Schlechtqualifizierte auf der Strecke lässt. Österreich zählt diesbezüglich übrigens nicht - wie gerne behauptet wird - zu den egalitärsten Industriestaaten: Ein OECD-Vergleich, der die Verteilung mit dem Gini-Koeffizienten misst, ergibt einen Platz im Mittelfeld.

Relevant ist aber auch, wie viel die Leute minus Steuern, plus Sozialleistungen letztlich in der Tasche haben - und da landet Österreich tatsächlich im Vorderfeld. In kaum einem anderen Land verteilt der Sozialstaat so stark nach unten um, die verfügbaren Haushaltseinkommen sind viel gleichmäßiger gestreut als die Marktbezüge. Laut Sozialbericht des Sozialministeriums geht die Schere hier auch nicht auseinander.

vermögen

Also Entwarnung? Der Wirtschaftsforscher Alois Guger, widerspricht und verweist auf die Unvollständigkeit der Haushaltsdaten: Nur zehn Prozent der Kapitaleinkünfte seien darin erfasst - doch gerade diese gelten als besonders ungleich verteilt. Ein Forscherteam der Wiener Wirtschaftsuni (WU) schreibt dem obersten Prozent der Haushalte 52 Prozent der gesamten Vermögenseinkommen zu.

Die Zahlen basieren auf Studien der Nationalbank (OeNB), die auf höchst aufwändige Umfragen nach Standards der Europäischen Zentralbank aufbauen. Demnach besitzen die reichsten fünf Prozent 45 Prozent des privaten Bruttovermögens, wobei die Forscher selbst das für unterschätzt halten. Superreiche nehmen an Befragungen eben ungern teil: In der OeNB-Studie besitzt der reichste Haushalt 16 Millionen - da fängt etwa die vom Trend publizierte Liste der reichsten 100 Österreicher, die zu 30 Prozent aus Milliardären besteht, noch lange nicht an. Die SPÖ unterlegt ihre Steuerpläne deshalb mit einer Hochrechnung von der Uni Linz: Demnach hält das Top-Zwanzigstel 58 Prozent des Vermögens.

Über die Entwicklung verrät die ÖNB-Studie, weil ein Erstversuch, nichts. Wilfried Altzinger, Ökonom an der WU, verweist aber darauf, dass sich die Privatvermögen in Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland binnen 30 Jahren in Relation zum Bruttoinlandsprodukt verdoppelten: "Es gibt kein Argument, warum das in Österreich viel anders sein sollte." Guger sieht trotz eines (temporären) Einbruchs im Zuge der Finanzkrise denselben Trend. Angesichts der ungleichen Verteilung der Vermögen steht für ihn fest: "Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst auch bei uns.

Weitere Indizien: Die Erträge aus Vermögen und Unternehmen wuchsen seit 1995 mit Ausnahme des Krisenknicks von 2009 stärker als das BIP, der Anteil der Löhne am Volkseinkommen ist eingebrochen. Dennoch lasten die Steuern auf den Arbeitseinkommen viel schwerer als auf dem Kapital: Erstere werden progressiv mit bis zu 50 Prozent besteuert, für Kapitalerträge gelten pauschal 25 Prozent. Vermögenssteuern sind in Österreich so mickrig wie in kaum einem anderen Industriestaat.

Die OECD kritisiert nicht nur diese Schieflage, sondern wachsende Ungleichheit generell als wachstumsschädlich. Kritiker halten die hohe Vermögenskonzentration überdies für eine Ursache der Finanzkrise, weil ihr das Spielgeld für die Spekulations- Kasinos entsprang. Und natürlich sei die Gerechtigkeitsfrage zu stellen, meint WU-Ökonom Altzinger: "Mit hohem Vermögen ist auch politischer Einfluss verbunden."

Es behindere die Chancen des Einzelnen nicht, wenn ein Tycoon wie Dietrich Mateschitz Milliarden besitze, sagt hingegen Ulrich Schuh, Leiter des industrienahen Instituts Eco Austria: Große Vermögen nützten der ganzen Gesellschaft, weil es in einer Marktwirtschaft dort investiert werde, wo es den meisten Ertrag - und damit allgemeine Wertschöpfung - bringe. Ob die Finanzkrise nicht das Gegenteil bewiesen hat? "Kollateralschäden" bestreite er nicht, sagt Schuh: Doch dass Vermögen besser eingesetzt werde, wenn es der Staat anders verteilt, "halte ich für historisch widerlegt".(Gerald John, DER STANDARD, 5.6.2014)