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Telomere am Ende der Chromosomen: Sie schützen vor Degeneration und werden deshalb mit dem Älterwerden in Verbindung gebracht.

Foto: Corbis / Science Picture Co.

Graz/Innsbruck - Keiner freut sich wirklich darauf, aber fast alle wollen es erlangen: ein hohes Alter. Und dieses Ziel ist für immer mehr Menschen erreichbar. Die Lebenserwartung ist in Mitteleuropa seit 1850 alle zehn Jahre um etwa zwei bis drei Jahre gestiegen, sagt die Medizinerin Helena Schmidt. Österreichische Männer werden mittlerweile durchschnittlich 78 Jahre alt, die Frauen hierzulande sogar 83,3 Jahre. Ein Abreißen des Länger-leben-Trends muss man derzeit nicht befürchten, meint Schmidt.

In Japan, wo die Menschen besonders alt werden, könne eine mittlere Lebensdauer von einem Jahrhundert schon in 60 Jahre erreicht werden. Die Entwicklung sei heutzutage vor allem auf eine Verringerung der Mortalität bei den über 65-Jährigen zurückzuführen. Die Senioren profitieren stark vom modernen Gesundheitssystem. Doch das alleine ist nicht die Basis eines langen Lebens.

Schmidt, die als genetische Epidemiologin an der Medizinischen Universität Graz tätig ist, leitet die sogenannte "Graz Study on Health and Aging". Im Rahmen dieser groß angelegten Erhebung untersuchen Forscher bei 3000 Personen altersbedingte Veränderungen und deren mögliche Ursachen. Ein weites Feld: Der Alterungsprozess, betont Schmidt, ist überaus komplex und multifaktorial. "Durch genetische Studien kann man mehr Einblick in die molekularen Mechanismen gewinnen." Denn eigentlich alles, was dem Körper im Verlauf der Jahre zusetzt, ist biochemisch bedingt.

Eine wichtige Rolle kommt dabei den Telomeren zu. Sie bestehen aus nichtcodierender DNA und sind praktisch die Schutzkappen der Chromosomen. Ohne diese kommt es schnell zu Störungen beim Ablesen des Erbguts und der darauffolgenden Proteinsynthese. Die Zelle stirbt. Bei Zellteilungen büßen die Telomere jedes Mal ein Stück ihrer Länge ein. Ein spezielles Enzym, die Telomerase, kann diesen Verlust zwar zum Teil ausgleichen, doch bei alten Menschen ist diese Schutz-DNA erheblich verkürzt. Ihre Zellen können sich nur noch wenig teilen, was wiederum die Regenerationsfähigkeit von Gewebe herabsetzt. So entstehen viele altersbedingte Gesundheitsprobleme.

Verschleiß der Schutzkappen

Die Länge der Telomere wird auch durch schädliche Stoffe beeinträchtigt. Das Auftreten von freien Radikalen mit oxidierender Wirkung führt zum verstärkten Verschleiß der Schutzkappen. Der Hintergrund: Telomere enthalten als Bausteine relativ viel Cytosin und Guanin. "Diese Basen sind anfällig für oxidative Schäden", erläutert Helena Schmidt. Antioxidantien wie Lutein, Zeaxanthin und Vitamin C jedoch können anscheinend dagegen schützen. Eine Analyse von Schmidt und ihrem Team hat aufgezeigt, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen Telomer-Länge und der Konzentration dieser drei Substanzen im Blutplasma älterer Menschen gibt (vgl.: Journal of the American Geriatric Society, Bd. 62, S. 222).

Oxidation verursacht auch an anderen zentralen Stellen Probleme - unter anderem in den Mitochondrien. Diese winzigen Organellen sind die Kraftwerke einer jeden pflanzlichen und tierischen Zelle. Sie liegen eingebettet im Zytoplasma und arbeiten keinesfalls isoliert. "In nahezu allen Zellen sind die Mitochondrien in einem dynamischen Netzwerk miteinander verbunden", sagt Pidder Jansen Dürr, Molekularbiologe am Institut für Biomedizinische Alternsforschung der Universität Innsbruck, im Gespräch mit dem Standard .

Die Organellen bauen hauchdünne Kanäle auf, "wie ein System kommunizierender Röhren". Wenn die Zelle jedoch unter Stress gerät, werden viele dieser Verbindungen gekappt. Schadhafte Mitochondrien werden dann aussortiert, mithilfe von Enzymen zerlegt, und ihre Bestandteile werden einem raffinierten Recyclingprozess zugeführt.

Wie die Funktionstüchtigkeit von Mitochondrien unter Oxidation leiden kann, hat Pidder Jansen-Dürr zusammen mit seinem Innsbrucker Team und zwei Wissenschaftern der TU Darmstadt untersucht. Die Forscher nahmen dabei den Einfluss von NADPH-Oxidase 4, kurz Nox4, auf den Stoffwechsel kultivierter menschlicher Zellen genau unter die Lupe. Nox4 tritt in fast allen Zelltypen auf. Es produziert Wasserstoffperoxid, H2O2, welches für die Weiterleitung bestimmter biochemischer Signale benötigt wird. H2O2 ist allerdings ein aggressives Molekül mit stark oxidierender Wirkung und dementsprechend gefährlich.

Starke Nox4-Aktivität begünstigt früheren Studien zufolge sowohl Alterungsprozesse wie auch Tumorwachstum. Deshalb, betont Jansen-Dürr, ist es für Zellen essenziell, das Enzym in Zaum zu halten.

Aktivere Mitochondrien

Der Experte und seine Kollegen testeten bei ihren Experimenten die Leistungsfähigkeit von Mitochondrien in Zellen, die kein Nox4 produzieren konnten, und verglichen diese mit den Werten von Zellen mit einem normalen Nox4-Gehalt. Die Ergebnisse waren eindeutig. Ohne Nox4 waren die Mitochondrien aktiver und bildeten stabilere Netzwerke (vgl.: Biochemical Journal, Bd. 452, S. 231).

Eine gezielte Hemmung von Nox4 könnte großes medizinisches Potenzial haben, meint Pidder Jansen-Dürr. Wichtig wäre es aber, einen solchen Eingriff auf bestimmte Gewebe zu begrenzen. Das Abschalten von Nox4 im ganzen Körper würde "vermutlich mehr Probleme schaffen, als man löst". In den Blutgefäßen dagegen könnte eine medikamentöse Nox4-Deaktivierung dabei helfen, die Gefäßwände länger jung und gesund zu halten. Möglicherweise lasse sich so auch Arteriosklerose behandeln.

Substanzen mit Nox4-hemmender Wirkung kommen in der Natur mehrfach vor. Ein solcher Stoff findet sich zum Beispiel in einer gewöhnlichen Gewürzpflanze und soll in absehbarer Zeit als Präparat patentiert werden, erzählt Jansen-Dürr.

Doch was ist Alterung eigentlich, aus einer umfassenden wissenschaftlichen Perspektive betrachtet: schlichter Verschleiß oder ein biologisch gesteuerter Prozess mit evolutionärer Bedeutung? Wahrscheinlich beides, meint Helena Schmidt. Die Variabilität in der Länge der Telomere zum Beispiel sei zu 70 Prozent genetisch bestimmt.

Pidder Jansen-Dürr weist diesbezüglich auf die Bedeutung der so genannten Gerontogene ("Langlebigkeitsgene") hin. Sie seien prinzipiell dazu da, die Lebensspanne eines Individuums zu begrenzen. Wenn sich der Organismus reproduziert hat, spielt er für die weitere Evolution der Art keine Rolle mehr. Er soll vielmehr den Platz freimachen für den Nachwuchs und nicht mit ihm um Ressourcen konkurrieren. Den Tod könnte man hier praktisch als Entwicklungshelfer bezeichnen.

In Würmern der Art Caenorhabditis elegans bewirken Mutationen in den Gerontogenen sogar eine Verdoppelung der Lebensdauer. Bei Mäusen kann dieser Effekt nach derzeitigem Kenntnisstand immerhin zu einer 20- bis 30-prozentigen Steigerung der Langlebigkeit führen, sagt Pidder Jansen-Dürr. Für die Erweiterung der menschlichen Lebensspanne liege hier eine große Hoffnung, meint der Wissenschafter. "Es gibt dabei noch Raum für Verbesserung." (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 4.6.2014)