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Robert Murray lebt im Arizona State Prison in den USA.

Foto: Matt York/AP/dapd

Seit mehr als einem Jahr tauscht sich der 49-Jährige regelmäßig mit Nicolas Müller-Lorenz per Brief aus.

Foto: Nicolas Müller-Lorenz

Robert Murray und Nicolas Müller-Lorenz sind enge Freunde. Murray gehört quasi schon zur Familie des 25-jährigen Grazers. Und obwohl sie Emotionen und Alltägliches teilen, haben sie sich noch nie gesehen. Sie sind Brieffreunde, und Murray lebt in Amerika - im Todestrakt des Gefängnisses von Arizona. Der heute 49-Jährige wurde im Jahr 1992 gemeinsam mit seinem Bruder vor Gericht für schuldig befunden, zwei Menschen erschossen und ausgeraubt zu haben.

Wie die enge Bindung entstanden ist, weiß Müller-Lorenz selbst nicht so genau. Nachdem er den Film "Die Kammer" gesehen hatte, beschäftigte er sich intensiv mit dem Thema Todesstrafe in den USA. Auf der Website der "Initiative gegen die Todesstrafe" klickte er sich durch die Galerie von Todeskandidaten, die einen Brieffreund suchten. Bei Robert blieb er hängen. Den ersten Brief schickte Müller-Lorenz im März 2013 ab. Als er die Antwort einen Monat später im Postkasten hatte, beschreibt das der 25-Jährige als "einen der aufregendsten Momente".

Fenster in die Welt

Alle zwei Wochen war der junge Grazer für den Amerikaner, neben anderen Brieffreunden weltweit, "ein Fenster in die Welt". Das schrieb Murray auch in einer seiner Nachrichten, denn nach dem Umbau des Gefängnisses von Arizona wurde der Todestrakt unter die Erde verlegt. Die Aussicht der Insassen beschränkt sich auf eine Betonwand und 24 Stunden künstliches Licht.

"Ich wollte zu Beginn nicht über mich selbst schreiben, wollte nicht Ich-bezogen klingen", erzählt Müller-Lorenz. Dabei war es genau das, was Murray wollte. Wissen, wie Österreich aussieht, über Arnold Schwarzenegger plaudern und Alltägliches lesen. Europäische Geschichte und Theater waren die Themen, über die sich der Grazer Regisseur und der passionierte Schreiber in der Todeszelle austauschten. Murray berichtete von seinem Buch "Life on Death Row", in dem er sein Leben im Todestrakt beschreibt, den er als sein "Zuhause" bezeichnet.

Kontrollierte Post

Nach ein paar Briefen stellte der Grazer dann die scheinbar unausweichliche Frage: "Was wird dir vorgeworfen?" Als Antwort bekam er kurze Sätze. Die Polizei fand am 14. Mai 1991 Sachen in Murrays Wagen, die in Verbindung mit einem Verbrechen in der Umgebung standen, das einen Tag zuvor verübt worden war. Erst im Laufe des Prozesses soll Robert Murray erfahren haben, was ihm und seinem Bruder vorgeworfen wurde: der Mord an einem Ehepaar. Murray beteuerte, dass er unschuldig sei.

Über das Verbrechen selbst erzählte der 49-Jährige nicht viel. Er hatte zu große Angst, die Briefe mit den Details zu den Vorwürfen könnten bei der Kontrollstelle "verschwinden". Dort werden alle ausgehenden Briefe der Insassen geöffnet, gelesen und aussortiert, wenn sie nicht den Bestimmungen genügen. Das Gleiche passiert bei eingehender Post. So dürfen etwa keine Heftklammern oder unbeschriebenes Papier verschickt werden. Im Bundesstaat Arizona dürfen auch keine Briefmarken beigelegt werden. "Ich glaube, man will die Häftlinge dazu zwingen, im Gefängnisshop ihr Geld auszugeben", sagt Müller-Lorenz. Das Geld für diese Einkäufe müssten sie sich von Familienmitgliedern oder Freunden schicken lassen. Auch er schickte Murray bereits Geld.

Zweifel an der Schuld

Mittlerweile ist der junge Grazer davon überzeugt, dass Robert den Doppelmord nicht begangen hat. "Ich war mir am Anfang nicht sicher, doch je mehr ich mich mit dem Fall auseinandersetzte, umso größer wurden die Zweifel." Eine deutsche Brieffreundin von Murray schickte ihm Unterlagen, die vor Gericht zugelassene Beweise und nicht zugelassene Zeugenaussagen enthielten. Angeblich sollen drei Männer in der Tatnacht in der Nähe des Tatorts gesehen worden sein, angeblich wurden die tödlichen Schüsse aus drei verschiedenen Waffen abgegeben, angeblich raubten die beiden Murray-Brüder die bei ihnen gefundenen Waffen und das Geld selbst aus dem Kofferraum eines Wagens.

Die rechtlichen Mittel der Brüder sind allerdings ausgeschöpft, ihre letzte Berufung wurde abgelehnt. Das Todesurteil wird vollstreckt werden. Doch im Falle von Robert Murray wird es nicht die Giftspritze sein, die ihn töten wird.

Späte Krebsdiagnose

Murray beschwerte sich im Februar 2012 über Schmerzen im Hals. Im Juli platzte ein Abszess auf seinen Mandeln, er erbrach sich blutig in der Zelle. Zuvor waren ihm Antibiotika verabreicht worden, seine wiederholten Anfragen, einen Arzt zu sehen, wurden nicht beachtet. Ein privater Dienstleister hatte in dieser Zeit die medizinische Betreuung der Häftlinge übernommen. Erst im November 2012 wurden während einer Notoperation die Mandeln entfernt. Der anschließende Laborbericht brachte die Diagnose Krebs. Murray wurde davon nicht informiert. Erst im Juni 2013 soll ein Chirurg zu ihm gesagt haben: "Sie sehen schon besser aus, die Krebstherapie scheint anzuschlagen", freilich ohne zu wissen, dass der Krebs bis dahin gar nicht behandelt wurde.

Mittlerweile hat Murray Krebs in seinen Knochen, der Leber und in den Nieren. Die Ärzte geben ihm noch maximal ein Jahr zu leben. Diese Zeit wird er im Krankentrakt der Haftanstalt verbringen, unter strenger Bewachung und ans Bett gefesselt. Müller-Lorenz möchte, dass ihm das erspart wird: "Die Gouverneurin von Arizona kann ihn aus barmherzigen Gründen freilassen, die Fluchtgefahr ist bei einem Patienten mit Krebs im Endstadium gering, und er könnte seine letzten Tage in einem Hospiz verbringen."

Engagement gegen die Todesstrafe

Auch nach dem Tod von Robert Murray will sich Müller-Lorenz gegen die Todesstrafe engagieren und das erste österreichweite Kollektiv zu diesem Zweck gründen. "Ich habe größtes Verständnis und Mitgefühl für Opfer von Verbrechen, aber ich will nicht einsehen, dass nur durch die Tötung des Schuldigen Genugtuung getan werden kann." Außerdem würden Fälle wie die von Ray Krone, der 2002 nach einem entlastenden DNA-Gutachten aus dem Todestrakt entlassen wurde, beweisen, dass es immer wieder zu Irrtümern komme.

Murray wird durch seine schwere Krankheit wohl nicht mehr in seine Zelle zurückkommen. Müller-Lorenz weiß, dass das für ihn eine Erleichterung ist. In seinem letzten Brief nach Graz schrieb er: "Jetzt kriegen sie mich doch nicht mehr." (Bianca Blei, derStandard.at, 10.6.2014)