"Eselsohren" gehören in Malaysia zu den bekanntesten Fotomotiven. So heißen zwei spektakuläre Felsnadeln aus Granit, denen sich Bergsteiger auf der Insel Borneo beständig nähern, wenn sie den 4.095 Meter hohen Mount Kinabalu erklimmen.

Unwirkliche Ansichten

Der Österreicher Reinhard Kleindl sah von diesem Nebengipfel (Donkey Ears Peak) zunächst einmal nur Fotos, die ihm der Tiroler Extremkletterer Daniel Peis gezeigt hatte. Es sind unwirkliche Ansichten von einem graphitgrauen Hochplateau, das wie ein eben erst erstarrter Lava-Strom wirkt. Aus diesem Massiv ragen die beiden Felsohren, die 60 Meter trennen und noch von der 30 Kilometer entfernten Küste deutlich erkennbar sind. Eine atemraubende Formation, wie sie Kleindl noch nirgendwo in Europa gesehen hat, obwohl er sich mit Felsnadeln eigentlich ganz gut auskennt.

Foto: adidas/Daniel Peis


Ein Seiltänzer auf der Slackline

Die bekanntesten Bilder von Reinhard Kleindl entstanden vor einer Kulisse mit drei rötlichen Steinspitzen - den Drei Zinnen in Südtirol. Auf jedem dieser Gipfel waren 2011 drei Flachbänder befestigt, das längste davon 53 Meter lang. Der Grazer taucht im Bild als kleiner grüner Punkt und in Ausübung seines Berufes auf. Kleindl ist Slackliner, eine moderne Form des Seiltänzers. Auf zweieinhalb Zentimetern Polyester wagte er an der Großen Zinne den Balanceakt und überquerte nach zwei "Spaziergängen" über 31 und 37 Meter auch die breiteste Schlucht.

Staunende Yuppies

Der studierte Physiker Kleindl ist weltweit einer der ganz wenigen, die von dieser Neuauflage des Seiltanzens leben können. Möglich ist das zum einen durch Sportartikelhersteller wie Adidas, die einer wachsenden Anzahl an Slacklinern zeigen wollen, wie elegant ein Profi mit ihrem Equipment umgeht. Mittlerweile gibt es nämlich sogar eigene Slackline-Schuhe. Zum anderen werden Ausnahmeakrobaten wie Kleindl aber auch bei Veranstaltungen wie dem Frankfurter Wolkenkratzer-Festival gebucht, um vor staunenden Yuppies in 185 Metern Höhe auf einem schmalen Band von einer Dachterrasse zur nächsten zu balancieren.

Jetlag und Höhenluft: eine schlechte Kombination

"Die Drei Zinnen waren nichts im Vergleich zu den Eselsohren am Mount Kinabalu", sagt Kleindl über seinen Ausflug nach Malaysia im vergangenen August. Die Schwierigkeiten begannen bereits damit, dass der Aufstieg zur 3.700 Meter hoch gelegenen Schutzhütte ihn und den Kletterer Daniel Peis, der diese Reise organisiert hatte, völlig erschöpften. Sie hatten sowohl den Jetlag nach dem langen Flug als auch die Höhenluft unterschätzt. "Zusätzlichen Stress bereiten aber auch ganz banale Dinge wie das Equipment", sagt Kleindl. "Was machst Du, wenn Du erst hier oben draufkommst, dass die Slackline, die Du heraufgeschleppt hast, dann doch um ein paar Meter zu kurz ist?"

Einfach rüber zum anderen Ohr

Des Seiltänzers wichtigstes Utensil war lange genug, um die mit dem Laser vermessenen 60 Meter zwischen den beiden Felsnadeln zu überbrücken. Dennoch stürzte Kleindl bei den ersten Testläufen immer wieder in das Sicherungsseil, die Ausgesetztheit, die Leere und die Monotonie der Felsen machten ihm zu schaffen. Nach zwei Stunden Pause näherte er sich der Verankerung der Slackline abermals. Und ging einfach rüber zum anderen Ohr.

Ob er viel von Borneo gesehen habe? "Nein", sagt Kleindl, "alles musste recht schnell gehen, vor allem hier heroben wegen der Wetterumschwünge. Aber wissen Sie, ich fahre auch sonst nicht gerne auf Urlaub ohne ein konkretes Projekt." Und damit ist über des Seiltänzers Dienstreise zu Borneos Eselsohren auch schon alles gesagt. (Sascha Aumüller, Rondo, DER STANDARD, 06.06.2014)