Brüssel/Luxemburg - Der geringe Preisanstieg in der Euro-Zone nährt Deflationsängste und setzt die Europäische Zentralbank unter Handlungsdruck. Die Inflationsrate sank im Mai überraschend auf nur noch 0,5 Prozent. Sie nähert sich damit der Deflationszone fallender Preise, die für die Konjunktur gefährlich werden können. Die am Dienstag vom Brüsseler Statistikamt veröffentlichten Daten gelten daher als Warnsignal für die EZB, die am Donnerstag zu ihrer Zinssitzung zusammenkommt. Die Notenbank will sich laut ihrem Chef Mario Draghi nicht dauerhaft mit einem zu niedrigen Preisauftrieb abfinden. Beobachter erwarten daher, dass sie mit einer weiteren Senkung der bereits rekordniedrigen Zinsen aufkommende Deflationsgefahren im Keim ersticken will.

Wie Eurostat mitteilte, verteuerten sich Dienstleistungen in der Euro-Zone ersten Schätzungen zufolge zwar um 1,1 Prozent. Die Energiekosten stiegen hingegen nicht. Und Lebensmittel verteuerten sich kaum noch. "Die Preisentwicklung in der Euro-Zone ist extrem schwach. In wesentlichen Teilbereichen bewegen wir uns schon an der Schwelle zur Deflation", warnt Ökonom Heinrich Bayer von der Postbank. Das Inflationsziel der EZB liegt bei knapp zwei Prozent. Doch in diesem Jahr stand noch in keinem Monat eine Eins vor dem Komma. Die EZB muss als Hüterin stabiler Preise verhindern, dass die Verbraucher in der Hoffnung auf immer billigere Güter ihre Käufe zurückstellen und Firmen Investitionen hinauszögern: Eine solche Deflation gilt als Gift für die noch längst nicht robuste Wirtschaft der Euro-Zone.

Druck auf EZB steigt

Die aktuellen Inflationsdaten dürften der EZB nach Ansicht von Helaba-Ökonom Johannes Jander daher erhebliche Sorgen bereiten: "Der Druck auf die EZB wird zunehmen, bei der Ratssitzung am Donnerstag zu handeln." Auch die enttäuschenden Wachstumszahlen in Frankreich und Italien legten eine geldpolitische Lockerung nahe. Die meisten Experten erwarten, dass der Leitzins von 0,25 auf ein Rekordtief von 0,1 Prozent gesenkt wird. Zudem dürften die Währungshüter erstmals bei der EZB geparktes Geld mit einem Strafzins belegen, um so insbesondere die Banken in den wirtschaftlich angeschlagenen Südländern zur verstärkten Kreditvergabe anzuregen.

Einige Experten gehen bereits jetzt davon aus, dass es nicht dabei bleibt. Laut EZB-Beobachter Christoph Weil von der Commerzbank steigt mit den überraschend niedrig ausgefallenen Inflationsdaten im Mai die Wahrscheinlichkeit, dass die EZB im Sommer mit weiteren Maßnahmen nachlegt. Er verweist darauf, dass Draghi am Donnerstag aktualisierte Inflationsprojektionen vorlegen wird, in denen die Mai-Daten nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Demnach sei die Prognose bereits mit dem Manko eines Abwärtsrisikos behaftet: Damit steige die Wahrscheinlichkeit für breit angelegte Anleihenkäufe (QE) der EZB.

Laut Draghi ist die EZB notfalls bereit, die Notenpresse mit solchen Käufen massiv anzuwerfen, um Deflationsgefahren abzuwenden. Dies könne unter anderem durch ein Wertpapierankaufprogramm in großem Stil erfolgen. Der EZB-Chef betont dabei stets, dass der Euro-Kurs in diesem Zusammenhang für die Geldpolitik eine zunehmend wichtige Rolle spiele und Auslöser für ein Handeln der EZB sein könne. Der starke Euro drückt über niedrigere Importkosten - etwa für Rohstoffe und Energie - die Inflation. (APA, 3.6.2014)