Ein neunjähriger jüdischer Bub, allein in einem feindseligen Land: Andrzej Tkacz (links) und Rainer Bock in Pepe Danquarts "Lauf, Junge, lauf".

Foto: Hagen Keller / Filmladen

Wien - Die wichtigsten Sätze fallen beim Abschied. "Du musst stark sein und tapfer. Du musst überleben", sagt der Vater zu seinem neunjährigen Sohn. "Aber selbst, wenn du alles vergisst, deinen Namen und vielleicht sogar Mutter und mich - niemals darfst du vergessen, dass du ein Jude bist." Die beiden kauern unter einer kleinen Steinbrücke im polnischen Niemandsland, auf der zwei deutsche Soldaten nach ihnen Ausschau halten. Es sind die letzten Worte, die Srulik nach seiner Flucht aus dem Warschauer Ghetto von seinem Vater hört.

"Du bist der mutigste Mann, den ich kenne." Mit diesen Worten wird Srulik später von einem Landarbeiter verabschiedet, der ihm auf einem Gutshof ein väterlicher Freund geworden ist. Hier konnte er für eine Weile Ruhe und vor allem Hoffnung finden, doch nun muss er seine Odyssee fortsetzen und einmal mehr seinen Überlebenswillen beweisen.

Wie viel Mut braucht es also, seine wahre Identität nicht zu verlieren? Um diese Frage kreist die Geschichte des kleinen Helden in Pepe Danquarts Holocaust-Drama Lauf, Junge, lauf. Für Srulik ist die Voraussetzung dafür die perfekte Anpassung: Mit einem Gebet auf den Lippen und einem Christuskreuz um den Hals wandert und bettelt er als katholischer Waisenjunge Jurek (abwechselnd dargestellt von den Zwillingen Andrzej und Kamil Takcz) durchs Land, geht Bauern für eine Mahlzeit zur Hand oder schließt sich einer Kinderbande an, deren größtes Glück ein gestohlenes Huhn ist.

Wahnsinn des Krieges

Basierend auf der Lebensgeschichte von Yoram Friedman, die der Schriftsteller Uri Olev in Buchform niedergeschrieben hat, konzentriert sich Lauf Junge, lauf vor allem auf die großen, dramatischen Momente, in denen sich der Wahnsinn des Krieges und die Grausamkeit der Verfolgung ausdrücken sollen. Das führt einerseits wiederholt zu emotionsgeladenen Bildern, die einer Beschreibung der Mühen des täglichen Überlebenskampfs seltsam entgegenwirken, andererseits zu auffälligen Lücken: Liegt Srulik etwa rücklings auf dem Waldboden, segeln langsam und wunderschön Eichenblätter zu Boden; für eine genauere Zeichnung von Helfern und Häschern scheint indes Zeit und Interesse zu fehlen.

Weil deshalb alle Nebenfiguren auch für die Kamera meist buchstäblich Randerscheinungen bleiben, vertraut Danquart, bekannt vor allem für seine dokumentarischen Heldengeschichten sportlicher Art (Am Limit, Höllentour), auf ein bekanntes Bilderreservoir, in dem Kollaborateure, Partisanen, Nazi-Ärzte und Denunzianten ihren Platz finden.

In einer der bedeutendsten Szenen dieses Films soll Srulik am Ende seiner Tour de Force in ein jüdisches Waisenhaus gebracht werden. Am Ende seiner Flucht könnte er für den jungen Staat Israel in seine alte Identität schlüpfen. Sein Widerstand ist groß, doch diesmal bleibt die Entscheidung an einer kleinen polnischen Straßenkreuzung ihm überlassen. (Michael Pekler, DER STANDARD, 3.6.2014)