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Die Wahlbeisitzer in der Slowakei waren mit dem Auszählen der Stimmen am 24. Mai sehr schnell fertig.

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Politologe Marek Rybář: "Die Parteien haben die Kampagnen ihrer Kandidaten finanziell und organisatorisch nicht unterstützt."

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Die Slowakei hat bei der Europawahl mit einer Wahlbeteiligung von 13 Prozent einen negativen Rekord aufgestellt. derStandard.at hat bei einem Lokalaugenschein in Bratislava die Slowaken zu ihrer Verweigerungshaltung befragt und mit dem slowakischen Politikwissenschafter Marek Rybář über die dahinterliegenden Gründe gesprochen.

derStandard.at: Bei der Europawahl gibt es einen Unterschied in der Wahlbeteiligung zwischen Ost- und Westeuropa. Was sind die Gründe dafür?

Rybář: Generell ist die Qualität der Demokratie in Osteuropa nicht so hoch wie in Westeuropa. In Osteuropa ist die politische Partizipation niedriger, es gibt weniger Vertrauen zwischen Bürgern, weniger Vertrauen in die Wirkungskraft der eigenen Stimme. Eine geringere Anzahl der Menschen denkt, dass sie mit aktiver Partizipation etwas verändern können. Das könnte mit der kommunistischen Vergangenheit in Verbindung stehen, als politisches Leben erzwungen und erwartet wurde - es war Teil der Legitimität des kommunistischen Regimes.

Die geringe politische Partizipation betrifft nicht alleine die Wahlbeteiligung bei der Europawahl. Wir sehen sie auch daran, inwieweit die Bürger bereit sind, sich am politischen Leben, beispielsweise als Lobbyisten, Aktivisten oder Volontäre, zu beteiligen. So gesehen betrifft das nicht nur das politische, sondern auch das gesellschaftliche Leben.

Straßenumfrage zur EU-Wahl in Bratislava. 
usslar

derStandard.at: Zum dritten Mal in Folge hatte die Slowakei bei der Europawahl die geringste Wahlbeteiligung aller europäischen Staaten. Warum sind die slowakischen Wähler dermaßen desinteressiert an der europäischen Politik?

Rybář: Die geringe Wahlbeteiligung ist kein Ausdruck des Misstrauens gegenüber der Europäischen Union. Laut Eurobarometer sind die Slowaken sehr gerne in der EU, sie haben Vertrauen ins EU-Parlament. Ich würde die Schuld den politischen Parteien geben. Sie haben nur sehr geringe Kapazitäten, um die Menschen zu mobilisieren, weil die meisten slowakischen Parteien kleine Organisationen mit wenigen Mitgliedern sind. Innerhalb der Parteien gibt es einen nur sehr gering ausgeprägten Pluralismus. Die Parteien binden die eigenen Mitglieder und die Bürger nicht wirklich ins politische Leben mit ein.

Aber es hat auch mit der Qualität der Kandidaten zu tun, die sich zur Europawahl stellen. Bei der letzten Wahl kann man durchaus davon sprechen, dass kein "politisches Schwergewicht" dabei war. Die Politiker, die bei der Europawahl antreten, sind normalerweise Personen aus der zweiten oder dritten Reihe  der Parteien. Und sie haben weder logistische noch andere Formen der Unterstützung ihrer Parteien erhalten. Dazu kommt noch, dass die Kandidatur der Politiker bei der Europawahl oft als persönliches Geschäft wahrgenommen wird. Diese Kandidaten werden nicht als Mitglieder ihrer Parteien wahrgenommen, sondern als Menschen, die ihre Karriere irgendwo in Brüssel fortsetzen möchten.

Zudem haben die Parteien die Kampagnen der Kandidaten nicht finanziell und organisatorisch unterstützt. Hinzufügen möchte ich, dass wir hier in der Slowakei seit November 2013 drei Wahlen hatten: die Regional-, die Präsidenten-, und die Europawahl. Aufgrund ihres geringen Personals sind die politischen Parteien müde und erschöpft, ähnlich wie die Bürger.

derStandard.at: Wie beeinflusst die niedrige Wahlbeteiligung die demokratiepolitische Legitimität der slowakischen Europarlamentarier?

Rybář: Die erste Reaktion der politischen Parteien war, dass die niedrige Wahlteilnahme schlecht ist. Fast alle Parteien, deren Kandidaten gewählt wurden, waren aber zufrieden. Einige haben ihr Ergebnis als den eigenen Erfolg präsentiert, vor allem die kleineren Oppositionsparteien. Es hat keinen Sinn, das Resultat politisch zu analysieren, wenn die Beteiligung bei 13 Prozent liegt. In diesem Land können die politischen Parteien die Menschen nicht mobilisieren.

Das politische Establishment als solches hat ein Legitimationsproblem, nicht nur die EP-Kandidaten und EP-Mitglieder. Die Beteiligung bei der Regionalwahl war im November letzten Jahres nicht so katastrophal gering wie bei der Europawahl, aber sie war auch nicht viel größer (22,7 %, Anm.). Wenn es bei der Wahl nicht um das nationale Parlament oder die Präsidentschaft geht, dann gibt es eine sehr geringe Wahlteilnahme. Diese ist kein Spezifikum der Europawahl.

derStandard.at: Wie haben die Wähler die politischen Kampagnen wahrgenommen und wie viel Geld haben die Parteien für die Kampagnen im Vergleich zur slowakischen Parlamentswahl ausgegeben?

Rybář: Die offiziellen Zahlen wurden noch nicht veröffentlicht, daher wissen wir es noch nicht. Wenn wir in Betracht ziehen, wie viele Veranstaltungen die Parteien organisierten oder wie viele Broschüren sie verteilt haben, würde ich behaupten, dass die Kampagnen grundsätzlich von den Kandidaten selbst finanziert wurden. In einigen Parteien gab es keine gute Beziehung zwischen EP-Kandidaten und Personen aus der Parteizentrale. Die politischen Parteien investierten sehr wenig bezüglich Finanzierung, Organisierung und logistische Unterstützung. Eine Kampagne war nicht vorhanden.

Für die Wähler war es schwer, überhaupt eine Form des Wahlkampfes wahrzunehmen. Es gab kein Thema, welches den Wahlkampf geprägt hätte. Es gab keine klaren Botschaften und keine großen Unterschiede zwischen den Parteien selbst. Wenn es keinen politischen Konflikt gibt und wenn die nationalen Parteienführer nicht in der Kampagne involviert sind, fällt die Wahlbeteiligung natürlich sehr gering aus.

derStandard.at: Was können die politischen Parteien machen, um die Wahlteilnahme zu erhöhen?

Rybář: Sie sollten aktiver werden, sie sollten Kandidaten aufstellen, die bekannt sind oder fähig sind, zumindest einen oder zwei Sätze zu formulieren. Sie sollten versuchen, die politischen Parteien zu öffnen. Es ist ein langfristiger Prozess, es ändert sich nicht von heute auf morgen.

derStandard.at: Könnte eine Veränderung des Wahlsystems sich positiv auf die Wahlbeteiligung auswirken?

Rybář: Einige sagen, dass es Sinn machen könnte, wenn das Wahlsystem nicht auf den Parteilisten basieren würde, sondern auf einer Methode, die den Wählern das Recht gibt, über die Parteigrenzen hinweg die Kandidaten zu wählen. Ähnlich zum maltesischen  System der übertragbaren Einzelstimmgebung, bei dem der Wähler eine Rangfolge der Kandidaten erstellen kann. Die Kampagne wäre dadurch personalisierter. Eine Alternative, die jedem ermöglichen würde, sich zur Wahl zu stellen. Tatsächlich wurden unsere Europawahl-Kampagnen bisher nicht von den Parteien selbst gemacht, sie waren die Bemühungen einzelner Kandidaten mit sehr geringer Unterstützung seitens der Parteiorganisationen. (Balázs Csekő und Siniša Puktalović, derStandard.at, 2.6.2014)