Phallus-Feier: Ikuma Yamada und Ichigo Iida (re.) in "Die Kiste im Baumstamm".

Foto: AKI TANAKA

Wien - Der Tokioter Theaterregisseur Kuro Tanino schöpft aus dem Vollen. Den Stoff für seine üppigen, surrealen Bildwelten, die ihn nun erstmals nach Österreich führen, liefert ihm sein Erst- und Brotberuf. Er ist Psychoanalytiker und somit an Ängsten und Fantasien anderer Menschen besonders interessiert. Das in der psychoanalytischen Praxis gewonnene Material fließt direkt in seine künstlerische Tätigkeit. Ein grenzwertiges Verfahren, das als Festwochen-Gastspiel im Brut im Künstlerhaus aber ein überzeugendes Ergebnis zeitigte.

Für Die Kiste im Baumstamm verknüpft Tanino bizarre Traumsequenzen zu einer Ödipusgeschichte, in der ein junger Mann von seinem übermächtigen Vater und insbesondere dessen imposantem primärem Geschlechtsmerkmal verfolgt wird. Auch die Möglichkeit des sexuellen Missbrauchs steht im Raum, ohne diese Option jedoch zu forcieren.

Tanino geht es um die Habhaftwerdung abstruser Bilder und Abläufe - so fremd und irreal, wie Träume eben sind. Das gelingt ihm auf beklemmende wie heitere Weise: Die "Penis-Verfolgung" kleidet Tanino in eine schauderhafte Märchenfolie. Der junge Protagonist Kenji (Ikuma Yamada), der vom strengen Vater angehalten wird, Mathematik zu lernen, flüchtet sich mit seinem Schulheft in den Wandschrank, schläft dort ein, und schon geht ein Traum los, der ihn durch rätselhaft verschachtelte Zimmer führt (Bühne: Michiko Inada).

Unschöne Märchenfiguren mit fremden Sprachen bevölkern diese Räume: In Zwischenetagen wachsen Baumstämme hinauf wie hinunter, eine Kuckucksuhr spuckt tote Vögel, in einem Restaurant tischen die emsigen Kellner gar eine Riesenkakerlake auf. Und der Vater als dominierender Geschlechtsrivale taucht immer wieder auf - zumindest stellvertretend als Phallus. Sogar aus den Baumstämmen träufelt Sperma.

Kuro Taninos Theater drückt Befindlichkeiten vor allem durch die Wirkung von Räumen aus. Deren Innenleben sind klug gebaute, symbolträchtige Rätselwerke, die ihre Bedeutung oft erst später offenbaren. Ein befremdlicher, spannender, zunehmend lustiger Abend. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 2.6.2014)