Ein berühmter französischer Schriftsteller wird in "Die Entführung des Michel Houellebecq" gekidnappt - und reagiert darauf mit der ihm eigenen Gelassenheit.

Foto: stadtkino

Wien - "Ja, es stimmt, ich empfinde nur wenig Solidarität mit der menschlichen Gattung." - Ein Satz aus Karte und Gebiet, dem bisher letzten Roman des französischen Schiftstellers Michel Houellebecq. Die etwas heruntergekommene Figur, die diese unverblümte Aussage trifft, ist sein fiktiver Doppelgänger, der ihn sehr glaubwürdig vertritt.

Selbstinszenierung, Provokation und Rückzug, das erfolgt bei Houellebecq Hand in Hand. Der gerne mit unbequemen, anrüchigen Meinungen auffallende Intellektuelle hält sich nicht an die Spielregeln der Öffentlichkeit. Der Grund dafür ist durchaus ernsthafter Natur. Die Öffentlichkeit - als Arena der Durchsetzung dominanter Denkweisen - ist bei Houellebecq selbst eines der bevorzugten Themen.

Bei einer Lesereise kann er schon einmal so lange verschwinden, dass man an eine Entführung glaubt. Guillaume Nicloux ("Die Nonne") hat rund um die Starpersona von Houellebecq nun einen intelligenten und sehr amüsanten Film gedreht.

"Die Entführung des Michel Houellebecq" ("L'enlèvement de Michel Houellebecq") entwirft das Szenario einer tatsächlichen Straftat - der Schriftsteller wird zur Geisel einer Bande eher unerfahrener Kleinkrimineller. Die Frage nach der Anteilnahme am Schicksal des Autors ist dabei jedoch eher von nebensächlicher Bedeutung. Nicloux' gedanklich wendiger Film ist kein Thriller, sondern eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Rollen und den dazugehörigen Erwartungen.

Schmerzen und Nikotinsucht

Der maßgebliche Punkt dabei ist freilich, dass sich Houellebecq im Film selbst verkörpert - laut Nicloux stünde das Bild des Films seiner eigenen Wahrnehmung des Dichters sehr nahe. Geschönt ist es jedenfalls nicht, Houellebecq wirkt körperlich einigermaßen derangiert, es fehlen ihm Zähne, er leidet unter Ohrenschmerzen und neigt dazu, ein paar Gläser Rotwein zu viel zu trinken. Aus dem Umstand, dass er kettenraucht, gewinnt der Film sogar einen Running Gag: Am öftesten fragt der Entführte nach einem Feuerzeug.

Die Beziehung zwischen Opfer und Täter ist aber aus ganz anderen Gründen hervorhebenswert. Houellebecq muss zwar Handschellen tragen, wird jedoch abgesehen davon in dem Haus eines älteren Ehepaars polnischer Herkunft gastfreundlich behandelt. Abends sitzt er mit seinen Entführern gemeinsam beim Abendmahl. Dabei verstrickt er sich nicht etwa aufgrund seiner misslichen Lage in eine Debatte, sondern weil er seine Meinungen auch hier vertritt und die Deutung seiner Bücher nicht Interpreten überlassen will. Bald wird er liebevoll "Michel" gerufen und von einem der proletarischen Täter im Kickboxen unterrichtet. Selbst eine Frau erweist ihm als Geburtstagsgeschenk ihre Dienste.

Nicloux geht es um keinen Fall von Stockholm-Syndrom, sondern um eine grundsätzlichere Affinität zwischen dem Intellektuellen und seinen Entführern. So unterschiedlich ihr Status sein mag, beide Seiten stehen jenseits der Gesellschaftsmitte und des diese bestimmenden Establishments. Widerspruchsgeist und auftrainierte Körper (und deren Arbeitskraft) sind nicht Teil des "esprit d'avenir", des Zukunftgeists, den eine Zeitungsschlagzeile hier noch dem Frankreich François Hollandes zuschreibt.

Die Entführung des Michel Houellebecq ist auch aufgrund solcher politischer Bezüge - eine EU-Hasstirade erfolgt am Ende - der Tradition der geistvollen Satire zuzurechnen, die vom Rande aus giftig ins Zentrum wirkt. Houellebecq wirkt darin trotz der charakteristischen Kaltschnäuzigkeit milder, zurückhaltender, als man vielleicht erwarten würde. Das liegt wohl auch an der unüblichen Solidarität, die er für seine Mitmenschen zeigt. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 2.6.2014)