Wien - Dürfen Unternehmen Verträge mit Verbrauchern abändern, wenn bestimmte Klauseln als sittenwidrig aufgehoben werden? In einem aktuellen Fall hat das Oberlandesgericht (OLG) Wien Ende 2013 gegen eine solche ergänzende Vertragsauslegung im Verbrauchergeschäft entschieden.

Der Verein für Konsumenteninformation hatte gegen ein Versicherungsunternehmen wegen der Anwendung von Dauerrabattklauseln in AGB geklagt. Dauerrabattklauseln sind Klausen, die einen Versicherungsnehmer dazu verpflichten, den für eine längere Dauer eines Versicherungsvertrags gewährten Rabatt bei vorzeitiger Beendigung zurückzuzahlen.

2010 sind derartige Klauseln vom OGH als sittenwidrig beurteilt worden. Einige Versicherer haben daraufhin - im Zuge einer ergänzenden Vertragsauslegung - bei vorzeitiger Vertragsbeendigung eine Rabattrückzahlung verrechnet, die sich jedoch - anders als in der für sittenwidrig erkannten Klausel - mit jedem abgelaufenen Vertragsjahr reduzierte.

Unzulässig

Dies ist unzulässig, urteilte das OLG Wien und stützte sich dabei auf die EU-Richtlinie über Klauseln in Verbraucherverträgen (RL 93/13/EWG) sowie eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2010 (C-618/10). Laut Artikel 6, 7 und 8 der Richtlinie sind missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Unternehmer und Verbraucher für den Verbraucher unverbindlich, der Vertrag soll aber - wenn dies möglich ist - ohne die Bestimmung weiter bestehen.

Die Mitgliedstaaten sollen Regelungen vorsehen, dass Unternehmer keine missbräuchlichen Klauseln in Verträgen mit Verbrauchern mehr verwenden. Sie können strengere Bestimmungen erlassen, um ein höheres Schutzniveau für Verbraucher zu gewährleisten. Über die ergänzende Vertragsauslegung sagt die Richtlinie nichts, der EuGH aber deutlich: Die nationalen Gerichte haben eine missbräuchliche Vertragsklausel nur für unanwendbar zu erklären, damit sie den Verbraucher nicht bindet; sie sind nicht befugt, deren Inhalt abzuändern.

Ungarische Fremdwährungskredite

Diese Rechtsansicht wird nun durch die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (C-26/13 vom 30.4.2014) gestützt. Der EuGH hatte Vorlagefragen eines ungarischen Gerichts zu beantworten, in denen es um eine Vertragsklausel zum anwendbaren Wechselkurs bei der Tilgung eines Fremdwährungskredits ging. Auf die Vorlagefrage zur ergänzenden Vertragsauslegung sagte der EuGH: Nur wenn der Vertrag bei Missbräuchlichkeit einer Klausel nicht mehr durchführbar ist, darf das nationale Gericht diese Vertragsbestimmung durch eine Regelung des dispositiven Rechts ersetzen.

Das OLG-Urteil ist nicht rechtskräftig; es ist noch dieses Jahr mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu rechnen. Angesichts der jüngsten EuGH-Judikatur ist nicht zu erwarten, dass der OGH sich anders entscheidet. Wenn ein Verbrauchervertrag ohne sittenwidrige Klausel weiterhin anwendbar bleibt, dann ist eine ergänzende Vertragsauslegung nicht zulässig, selbst wenn sie sachlich vertretbar wäre. (Jakob Hütthaler-Brandauer, DER STANDARD, 2.6.2014)