Wien – So sehr es hochbegabte Instrumentalisten danach drängt, Konzertsäle zu erobern, so leicht kann es passieren, dass sie schließlich als Teil einer Hochleistungssportkultur an Gefühlen der Entfremdung zu leiden beginnen. Geiger Gidon Kremer etwa erfand das Kammermusikfestival in Lockenhaus, um Spontaneität wiederzuerlangen – wie auch Nähe zu Kollegen, Pu blikum, Werk.
Und den Pianisten Mario Formenti konnte man beim Steirischen Herbst acht Tage lang beobachten, wie er im Stadtmuseum spielend lebte, um Grenzerfahrungen zu durchleben. Den Mann drängt es nach Kunstausübung als Wahrheitssuche, nach Konfrontation von Musik und Alltag. Auch in Schubert und ich, einem Film von Bruno Moll.
Hier wird mit Bildern von starker Unmittelbarkeit ein Experiment Formentis gelassen eingefangen: Indem er mit fünf Nichtsängern Lieder von Schubert erarbeitet, glaubt Formenti, die Musik „ins Leben zurückholen“ zu können. An einer Stelle offenbart er einem Taxifahrer, „Künstler“ würden ihm „auf die Nerven gehen“.
En passant, zwischen den Übungssessions, sind die Teilnehmer in ihrer privaten Alltäglichkeit behutsam abgebildet. Als Kontrast, da nicht ohne Drastik, wirken die "Schubert-Sessions", bei denen Formenti mitunter wie ein Motivationstrainer zulangt: Hier fordert er den Sangesschüler auf, "ihn anzubrüllen", was ein Brüllduett zur Folge hat. Dort entschlüpfen ihm Aufforderungen wie "Free yourself, lady!" oder "Du singst wie ein Mädchen!". Deftige Momente. Und die Kommunikation scheint auf ein streng hier archisches Lehrer-Schüler-Verhältnis reduziert, das Formenti ein bisschen zum Teufelsaustreiber macht. Zu jemand vielleicht auch, der an anderen Dinge "kuriert", die er selbst erlebt hat. Das allerdings kann nur Formenti beurteilen. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 31.5./1.6.2014)