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Sprung ins Ungewisse: der geplante "Qualitätsrahmen" für Kinderbetreuung.

Foto: Reuters

In Österreich besucht nicht einmal jedes fünfte Kind unter drei Jahren eine Betreuungseinrichtung. Das sind weniger als in den meisten Ländern Europas. Die Gründe: zu wenige Betreuungsplätze, die den Bedürfnissen der Eltern gerecht werden, und noch immer zu viel Skepsis gegenüber Fremdbetreuung an sich.

Nun will die Bundesregierung Geld in den Ausbau der Kinderbetreuung investieren: Von den im Wahlkampf versprochenen 400 Millionen sind zwar nur 305 geblieben, immerhin haben sich Bund und Länder aber darauf geeinigt, die Finanzierung gemeinsam zu stemmen. Wie das genau aussieht, wird derzeit diskutiert.

Kaum debattiert wird dagegen über die Qualität der Kinderbetreuung. In der Bund-Länder-Vereinbarung findet sich lediglich ein vages Bekenntnis zu einem "Qualitätsrahmen" - was der umfasst, ist aber völlig unklar. Zum Missfallen der Grünen und von Experten. Dabei hätten Letztere konkrete Vorstellungen, wie qualitätsvolle Kinderbetreuung aussieht.

Akademische Ausbildung

Heide Lex-Nalis etwa. Die studierte Soziologin und Pädagogin arbeitete viele Jahre im Kindergarten und leitete eine Bundesbildungsanstalt für Kindergartenpädagogik. Sie kritisiert, dass Österreich seine Elementarpädagogen als einziges Land Europas nicht an Universitäten oder Fachhochschulen qualifiziert: "Die Ausbildung sollte frühestens mit 18 Jahren beginnen und mindestens drei Jahre dauern. Gleichzeitig auf Matura und Hochschulreife hinzuarbeiten ist absurd."

Auch Christiane Spiel, Bildungspsychologin an der Uni Wien, fordert, dass "die Ausbildung akademisch wird". Sie fürchtet, dass die Bundesländer daran nicht sehr interessiert sind. "Die Ausbildung dauert dann nämlich länger, und das neugewonnene Personal kostet mehr."

Bessere Ausbildung, mehr Lohn: Heide Lex-Nalis plädiert dafür, das Gehalt aller Pädagoginnen und Pädagogen anzugleichen – unabhängig von der Institution und dem Alter der betreuten Kinder. So gelänge es auch, mehr Männer für Hort und Kindergarten zu gewinnen.

Internationale Studien würden zeigen, dass eine bessere Ausbildung des Personals die pädagogische Qualität in Kinderbetreuungseinrichtungen hebt, sagt Gabriele Bäck vom Wiener Charlotte-Bühler-Institut für praxisorientierte Kleinkindforschung. Höher qualifizierte Pädagoginnen und Pädagogen würden "mehr Einfühlsamkeit und Entgegenkommen gegenüber den Kindern zeigen".

Gleiche Standards

Durch die Verländerung seien österreichweit geltende Qualitätsstandards schwierig – aber dringend notwendig, sagt Christiane Spiel. Dazu gehöre die Frage der Gruppengröße genauso wie der Betreuungsschlüssel. "Momentan ist das bundeslandabhängig. Auch das, was die Kinder lernen sollen, ist nicht einheitlich. Kinder sollten aber überall die gleichen Rahmenbedingungen und Chancen haben." Der Betreuungsschlüssel sei wichtig, aber nicht der Kern der Sache, findet Lex-Nalis: "Als Erstes muss sich die pädagogische Haltung gegenüber den Kindern ändern." Derzeit sei der Kindergarten sehr verschult und gehe zu wenig vom einzelnen Kind und dessen Fähigkeiten aus.

Einig sind sich die Expertinnen darin, dass der Wert des Kindergartens als zentrale Bildungseinrichtung hierzulande noch immer verkannt wird. Zu tief verankert sei die Vorstellung, dass Bildung und Lernen erst in der Schule beginnen. Obwohl man längst wisse, wie wesentlich frühe außerhäusliche Bildung für Kinder ist. Lex-Nalis: "Es fehlt das Bewusstsein, dass Fremdbetreuung den Kindern nicht schadet." Vielmehr brauche es ein Recht der Kinder auf den Kindergarten. In Deutschland ist das umgesetzt. "Kinder haben das Recht, aus den Ein-Kind-Familien herauszukommen", so die Expertin: "Keine Familie bietet, was Kindergärten bieten."

Viele Schließtage

Alle Studien würden zeigen, dass sich der Kindergartenbesuch langfristig positiv auswirkt, sagt auch Bildungspsychologin Spiel, die für ein zweites, verpflichtendes Kindergartenjahr eintritt. "Eines genügt nicht, um Benachteiligungen auszugleichen und möglichst alle Kinder gut auf den Schulbesuch vorzubereiten."

Wenig Freude haben die Fachfrauen damit, dass Bund und Länder die Kindergärten künftig nur mehr 45 statt wie bisher 47 Wochen im Jahr offen halten wollen. Für Gabriele Bäck vom Bühler-Institut ist zwar klar, dass "Kinder ein Recht auf eine ausreichend lange 'institutionsfreie' Zeit, also Urlaub vom Kindergarten, haben sollen". Aber: "Wenn diese Zeit nicht mit dem Urlaubsausmaß der Eltern akkordiert werden kann, sorgt es sicher für erhöhten Organisationsaufwand und mögliche Zusatzkosten für Eltern." Für Heide Lex-Nalis ist der Fall klar. Ihre Forderung: "25 Schließtage pro Jahr, Punkt, Ende. Dazu flexible Bring- und Abholzeiten. Das muss das Ziel sein." (Lisa Mayr, Peter Mayr, DER STANDARD, 31.5.2014)