Ob es nun eine “Indie-Blase” gibt oder nicht, liegt sicherlich im Auge des Betrachters - wer selbst als Entwickler sein Glück in diesem sekündlich wachsenden Dschungel versucht, sieht die wachsende Konkurrenz sicher mit Schrecken. Für Spieler wiederum bietet das aktuell gewaltige Angebot an Indie-Titeln zwar den Nachteil, dass es schwer wird, den Überblick zu behalten, doch die schiere Anzahl an außergewöhnlichen Einzeltiteln, die zunehmend Eigenständigkeit wagen und auch wegen der gestiegenen Konkurrenz kühn etwas Neues versuchen müssen, ist unbestritten ein Grund zur Freude.

Dass sich außergewöhnliche Ideen in Verbindung mit einzigartiger Optik und geglückter Öffentlichkeitsarbeit auch in der angeblichen “Indie-Blase” behaupten können, stellt etwa Klei Entertainment laufend unter Beweis: Das kanadische Studio ist mit über 30 Mitarbeitern schon einer der großen Indies und überzeugt in jedem seiner Titel mit Witz und Qualität. Neben “Mark of the Ninja” und “Shank” fand letztes Jahr vor allem die morbid-skurrile Survival-Sandbox “Don’t Starve” ihr begeistertes Publikum, das sogar mit Freude beim Merchandise zugreift. Mit “Reign of Giants” liefern die Kanadier nun per DLC Nachschub für die unbarmherzige Inselsaga, wie beim Hauptspiel zunächst als Early Access - Empfehlung für all jene, denen das Hauptspiel zu einfach geworden ist.

Wie gewohnt will die Serie “Best of Indie” den Lesern des GameStandard eine kleine Orientierungshilfe im stetig wachsenden Feld der unabhängigen Spieleszene bieten - dass eine derartige Auswahl letztlich unvollständig und in gewissem Ausmaß auch subjektiv bleibt, ist dabei leider ebenso Tatsache wie die Zwänge der Platzbeschränkung. In diesem Sinne: Hier sind die bemerkenswertesten Indie-Titel des Monats.

Kentucky Route Zero: Act 3 (Windows, Mac, Linux, gesamt ca. 22 Euro)

Das Ausnahme-Adventure von Cardboard Computer wurde bereits vor über einem Jahr bei Erscheinen des ersten von fünf “Akten” an dieser Stelle gewürdigt, doch das soeben erschienene dritte Kapitel schreit förmlich danach, nochmal auf die Bühne gehoben zu werden: “Kentucky Route Zero” ist mit Abstand eines der außergewöhnlichsten Spielerlebnisse des Jahres für jeden Spieler ohne Angst vor anspruchsvollerer Kost. Das poetisch-düstere, an David Lynch und den magischen Realismus erinnernde absurde Road Movie in einem nächtlichen Kentucky zwischen den Realitäten fasziniert immer wieder durch magische und ergreifende Momente, wie man sie im Medium so noch nicht gesehen hat. Gameplay-Puristen werden bemängeln, dass “KR0” weder Action noch klassische Rätsel bietet, doch für aufgeschlossene Spieler eröffnet sich eine höchst intelligente, anspielungsreiche und ästhetisch einzigartige Erfahrung irgendwo zwischen Point&Click und Theaterperformance. Im Kaufpreis sind alle drei erschienenen Teile sowie die noch ausständigen letzten Akte inbegriffen. Wer nach dem Beweis sucht, dass Computerspiele als künstlerische Medien ganz eigene Tricks auf Lager haben, sollte zuschlagen - Horizonterweiterung garantiert.

Foto: "Kentucky Route Zero: Act 3"

Super Time Force (Xbox One, Xbox 360, ca. 13 Euro)

Mangel an Gameplay kann man Capy Games Zeitreise-Sidescroller “Super Time Force” beileibe nicht vorwerfen, im Gegenteil: Der originelle, im gekonnten Pixel-Look gehaltene Action-Shooter für Microsofts Konsolenpark hat sogar einige höchst originelle Tricks auf Lager. Per Rewind kehren wir nämlich in die Vergangenheit des jeweiligen Levels zurück, wo wir dann sozusagen mit unserem vorherigen Ich aus einem anderen Zeitstrang zusammenarbeiten müssen - klingt kompliziert, stellt sich aber nach kurzer Eingewöhnungsphase als überaus originelle Spielmechanik mit so manchem Aha-Effekt und frischen Rätseln heraus. Verschiedene Spielfiguren mit eigenen Fähigkeiten und Waffen, überdrehter Humor und knackige Action mit sanften Speedrun-Anklängen machen “Super Time Force” zum Indie-Must-have für die allzu lange schmählich unterversorgte Xbox-Familie.

Foto: "Super Time Force"

Monochroma (Windows, Mac, Linux, Konsolen tba, ca. 17 Euro)

Wer angesichts des atmosphärischen Schwarzweiß-Looks mit roten Signaleffekten an den Indie-Klassiker “Limbo” denkt, ist nicht auf dem Holzweg: Der dänische Kulttitel ist eindeutig als Inspiration erkennbar, doch das Action-Adventure “Monochroma” des türkischen Entwicklerteams Nowhere Studios setzt sich frech noch ambitioniertere Ziele. Mit sechs Stunden Spieldauer, fantasievollem Design im Stil einer monochromen 50er-Jahre-Fantasiewelt und einem Wechsel von atmosphärischem Storytelling, cleveren Puzzles und kniffligen Sprung- und Actionsequenzen will “Monochroma” mehr sein als nur ein Hingucker. Ewig schade, dass zum Teil hakelige Steuerung und manche auch deshalb etwas gar recht herausfordernd geratene Passagen diese Ambition zum Teil zunichte machen. Dank grandioser Musik der türkischen Psychedelic-Folk-Ausnahmekombo Gevende, dem wirklich atmosphärischem Art-Design und dem grundsätzlich gelungenen, aber an einzelnen Stellen durch Steuerungsschnitzer verleideten Leveldesign ist “Monochroma” für frustresistente Freunde von “Limbo” dennoch einen Blick wert. Eine Demo verschafft Klarheit.

Foto: "Monochroma"

Transistor (PS4, Windows, ca. 17 Euro)

Das wunderschöne, mit seiner Mischung aus Jugendstil und Science-Fiction optisch einzigartige Action-Rollenspiel der “Bastion”-Macher Supergiantgames wurde im GameStandard bereits ausführlich vorgestellt, seinen Platz in dieser Aufstellung zusätzlich hat es sich aber redlich verdient. Wie im populären Vorgänger entfaltet sich der Zauber dieser leicht wehmütigen Spielewelt durch das clevere Zusammenspiel aus Erzähler und Hintergrundgeschichte; das Gameplay liefert den kurzweilig-soliden Hintergrund für ein berührendes Abenteuer in einer einzigartig gestalteten Science-Fiction-Vision, die man sich im Verlauf der Handlung Stück für Stück erarbeitet. Ein gelungener Nachfolger im Geiste, der dem großen “Bastion” zwar nicht den Rang abläuft, aber dennoch durch Eigenständigkeit und viel, viel Liebe zum Detail überzeugt. Fürs Auge, fürs Ohr, für Hirn und Herz - eine Empfehlung.

Foto: "Transistor"

Always Sometimes Monsters (Windows, 8,99 Euro)

Auch im banalen realen Leben lauern Monster, und diese sind nicht weniger furchterregend als all die Zombies, Drachen und Aliens, die uns normalerweise in Computerspielen gegenübertreten. Das trügerisch simpel scheinende Rollenspiel “Always Sometimes Monsters” wagt etwas Bemerkenswertes im eskapistischen Medium: Es bemüht sich in der Darstellung seines Amerikas der Gegenwart um Realismus und zeigt uns, dass wir selbst zu Monstern werden, wenn es um den eigenen Vorteil geht. Als zum Spielbeginn delogierter Durchschnittstyp, der (oder die - es stehen verschiedene Charaktere zur Auswahl) innerhalb eines Monats die Hochzeit seiner verlorenen Liebe verhindern will, navigieren wir in diesem offenen Rollenspiel einen moralischen Irrgarten, in dem wir ständig vor schwerwiegende Entscheidungen gestellt werden, bei denen es im Unterschied zu anderen Rollenspielen absolut kein simples “Gut/Böse”-Schema gibt. So betrachtet ist “Always Sometimes Monsters” eher eine “Lebenssimulation”, in der wir ständig zwischen den Erfordernissen des täglichen Lebens, unserem eigentlichen Ziel und einer Unzahl an kniffligen Entscheidungen hin- und hergerissen werden. Und dabei geht es, der niedlichen Optik zum Trotz, heftig zur Sache: Rassismus, Drogen, Obdachlosigkeit, Gewalt, Sex und Kriminalität spielen eine bedeutende Rolle, ohne jemals, wie etwa in der GTA-Reihe, zu seicht zynischer Kulisse zu verkommen. Ein außergewöhnliches Spielerlebnis!

Foto: "Always Sometimes Monsters"

Und der Rest?

Mit “Battleblock Theatre” (Windows, XBox360) erscheint ein Xbox 360-Indie nun auch für Windows, und wie vom Indie-Urgestein The Behemoth (“Alien Hominid”, “Castle Crashers”) gewohnt verbinden sich hier schräger Humor und geschmeidige Jump’n’Run-Action mit trickreichen Puzzles. Android-Besitzer haben Grund zur freude: Das wunderschöne “Monument Valley” gibt es nun auch für ihre Geräte. Jüngere Indie-Freunde werden an “The Last Tinker” (Windows, Mac, Linux) ihre Freude haben - im knallbunten Action-Adventure werden Erinnerungen an Konsolenklassiker wie “Jak & Dexter” wach.

Zum Abschluss zwei Tipps für Shooter-Freunde: Wie im GameStandard bereits im Vorjahr prophezeit, bietet die Vermählung von First-Person-Shooter und Rogue-likes Abwechslung für Freunde des puristischen Ballerns: “Heavy Bullets” (Windows, Mac, Linux) schickt Spieler mit einem einzigen Revolver bewaffnet in ein neonbuntes Todeslabyrinth, wo schnelle Reflexe und taktische Nutzung von Extras und spielinternem Bank-, Versicherungs- und Erbschaftssystem (!) die Voraussetzung fürs Bestehen sind, während “Rogue Shooter” (Windows) auf Retrocharme und überraschende Spieltiefe setzt. (Rainer Sigl, derStandard.at, 1.6.2014)

Foto: "Heavy Bullets"