Am 6. Juni steht der 23-jährige deutsche Student Josef S. in Wien vor Gericht, weil er laut Anklage Rädelsführer der Sachbeschädigungen am Rande der Anti-Akademikerball-Demonstrationen gewesen sein soll. S. selbst geht von einer Verwechslung aus. Seine Eltern, zwei IT-Angestellte aus Jena, äußern sich im derStandard.at-Gespräch betroffen über den Umgang der Strafjustiz mit ihrem Sohn. Sie hätten anfangs noch an einen fairen Umgang mit ihm geglaubt. Als jedoch auch der letzte Enthaftungsantrag vor zwei Wochen abgelehnt wurde, hätten sie die Hoffnung verloren, sagt Vater Bernd S.: "Wir haben das Gefühl, dass ein Exempel statuiert werden soll."

Zum Hintergrund: Der Student, der Mitglied der sozialistischen Jugendorganisation "Die Falken" ist, sitzt seit vier Monaten in Wien in Untersuchungshaft, weil er verdächtigt wird, im Falle seiner Freilassung erneut straffällig zu werden. Die Anklage beruht auf Aussagen eines Zivilpolizisten, der angibt, S. beobachtet zu haben. Auf einem Video sowie auf einer Audiodatei sei zu hören, wie S. andere Demonstranten anfeuere – zu weiteren Straftaten, wie angenommen wird. Nun hat ein Tongutachten jedoch ergeben, dass es sich dabei nicht um die Stimme des jungen Mannes handelt. Der Belastungszeuge habe daraufhin seine Aussage geändert, sagt S.s Verteidigerin. Trotz dieser geänderten Beweislage lehnte das Gericht einen Enthaftungsantrag der Verteidiger ab. Der Student der Werkstofftechnik ist unbescholten.

Video als Beweismittel

Als weiteres Beweismittel dient laut Verteidigung ein kurzer Videobeitrag, der am 24. Jänner auch im ORF zu sehen war: Er zeigt, wie S. in der Wiener Innenstadt einen Abfallbehälter aufstellt. Laut Anklage hat er den Behälter danach als Wurfgeschoß verwendet, auf dem Video ist das jedoch nicht zu sehen.

Zudem nahmen die Ermittler die Tatsache, dass S. auf der Demonstration einen schwarzen Pullover mit der weißen Aufschrift "Boykott" trug, als Indiz, dass es sich um einen Anführer handle: Die weiße Aufschrift solle ihn in der Dunkelheit jederzeit erkennbar machen, so ihre These. "Die Polizei hatte es einfach mit ihm, weil er fast zwei Meter groß ist, eine auffällige Lockenfrisur hat und nicht nur schwarz gekleidet war", glaubt S.s Vater.

Es liegt nun am Gericht, wie es die Beweise würdigt. Vorerst ist nur ein Verhandlungstag anberaumt.

Offener Brief an Justizminister Brandstetter

Im Netz mehren sich indes kritische Stimmen rund um das Verfahren. In einem offenen Brief an Justizminister Wolfgang Brandstetter wird S. als "Bauernopfer für einen misslungenen Polizeieinsatz" bezeichnet. Unter den Erstunterzeichnern findet sich die Rektorin der Akademie der bildenden Künste in Wien, Eva Blimlinger, der Brief wurde von 477 Personen unterzeichnet. Auch der Oberbürgermeister von Jena, Albrecht Schröter, hatte sich zuvor öffentlich für eine Freilassung des Studenten ausgesprochen.

S.s Eltern beschreiben ihren Sohn als ruhigen, politisch engagierten Menschen, dessen antifaschistisches Engagement auch mit der jüngsten Jenaer Stadtgeschichte verbunden sei: "In Jena hat sich eine breite Bewegung gegen rechtes Gedankengut in der Auseinandersetzung mit NPD-Aufmärschen und den NSU-Morden entwickelt, sie wird von Menschen aus allen Bevölkerungsschichten, konservativ bis links, getragen", sagt S.s Mutter.

S. wird des Landfriedensbruchs, der versuchten schweren Körperverletzung und der schweren Sachbeschädigung beschuldigt. Ihm drohen im Fall einer Verurteilung bis zu drei Jahre Haft. (Maria Sterkl, derStandard.at, 30.5.2014)