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Erbschaften machen einen Großteil des Vermögens eines Landes aus. Weil damit Ungleichheiten multipliziert werden, schlägt der Ökonom Tony Atkinson eine Erbschaftssteuer, die man jeweils an alle 18-Jährige ausbezahlen könnte, vor.

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"Es stimmt schlicht nicht, dass nur Globalisierung und neue Technologien für die Ungleichheit verantwortlich sind", sagt Atkinson im Interview.

Foto: Regine Hendrich

In Teilen habe die Politik die Entwicklung verschuldet und könne das Problem daher auch selbst wieder lösen, ist Atkinson überzeugt.

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Der immer größere Spalt zwischen oben und unten sei für eine Gesellschaft nur schwer zu akzeptieren, sagt der renommierte Verteilungsökonom Tony Atkinson im Interview. Die Politik mache es sich zu bequem, wenn sie die Schuld an steigender Ungleichheit auf Globalisierung und neue Technologien schiebe. "Das verteidigt die Position der Reichen", so Atkinson. Er fordert eine Umverteilung von Erbschaften, die an 18-Jährige ausbezahlt werden sollten, und hält einen einheitlichen Steuersatz für Lohn- und Kapitaleinkommen für sinnvoll. Auch eine globale Vermögenssteuer sei kein Ding der Unmöglichkeit.

STANDARD: Besserverdiener konnten ihre Einkommen in vielen Ländern zuletzt stärker steigern als der Rest. Für Sie und viele andere Ökonomen ist das Grund zur Sorge. Warum?

Atkinson: Der implizite Gesellschaftsvertrag der Nachkriegszeit besagte, dass der Spalt zwischen oben und unten nicht zu groß sein soll. Wenn die Realeinkommen unten fallen und oben stark steigen, ist das für eine Gesellschaft schwer zu akzeptieren. Wenn ein großer Teil des Einkommens an eine kleine Gruppe geht, dann hat das Auswirkungen auf die Wirtschaft. Diese spart viel von ihrem Einkommen, das beeinflusst die Nachfrage einer Volkswirtschaft stark.

STANDARD: Die ganze Debatte fokussiert sich derzeit auf die hohen Einkommen. Sollte das wirklich Priorität haben? Nicht etwa, wie man dem unteren Drittel helfen kann?

Atkinson: Absolut. Das ist eines der Probleme, die ich mit dem Buch von Thomas Piketty habe, das jetzt so erfolgreich ist. Es beschäftigt sich zu viel mit den oberen Prozenten und der Besteuerung der Reichen. Ja, man sollte Kapital stärker besteuern, vor allem Erbschaften. Gleichzeitig muss man sich aber auch um die untere Hälfte kümmern. Erben ist nichts Schlechtes, es ist sogar etwas sehr Gutes. Das Problem ist aber, dass viele wenig bis nichts erben. Jeder sollte mit einem Grundstock an Kapital ausgestattet werden. Das würde das Leben der Menschen stark verändern.

STANDARD: Wie würde das konkret aussehen?

Atkinson: Wahrscheinlich am sinnvollsten wäre es, das Geld im Alter von 18 Jahren auszubezahlen. Vor allem zwischen den Generationen würde das vieles ändern. In der jetzigen Krise leiden vor allem die Jungen unter der Austerität. Finanziert durch eine Erbschaftssteuer könnte das einen Ausgleich leisten.

STANDARD: Eine Umverteilung von Erbschaften also.

Atkinson: Ja, genau. Was man auch nicht vergessen darf: Das, was bei den Einkommen oben passiert, ist nicht unabhängig davon, was unten passiert. Ein Grund für die hohen Einkommen oben ist der Finanzbereich. Hier wurden in Großbritannien die Leute dazu gezwungen, für ihre Pension anzusparen. Die staatliche Pension wurde zurückgefahren. Das hat dem Finanzsektor viel Geschäft gebracht. Ein Grund für die hohe Profitabilität sind die hohen Gebühren, die dort verlangt werden. Wären die nicht so hoch, hätten die Menschen unten mehr und die oben weniger.

STANDARD: Einige Ökonomen sagen, Kontinentaleuropa könne sich seine Gleichheit nur leisten, weil man von Innovationen lebt, die aus den ungleichen USA und Großbritannien kommen.

Atkinson: Vergleichen Sie Großbritannien und Deutschland. In den letzten 30 oder 40 Jahren sind beide Länder im Großen und Ganzen gleich schnell gewachsen. Ich glaube, es gibt keinen Zusammenhang mit der Verteilung von Einkommen. Was sie unterscheidet, ist, dass ein großer Teil des Wachstums in Großbritannien im Finanzbereich geschehen ist. In diesem Sektor muss man sich fragen, ob die Innovationen produktiv waren. Man könnte argumentieren, wir stünden ohne sie besser da. Man muss sich also immer anschauen, woher das Wachstum kommt. Die großen Summen, die in diesem Bereich verdient werden, stehen in keinem Zusammenhang zum Beitrag zur Gesellschaft.

STANDARD: Globalisierung und neue Technologien werden von vielen als Hauptgrund für die hohe Ungleichheit gesehen. Kann die Politik gegen diesen großen Trend viel machen?

Atkinson: Es ist sehr bequem, so zu argumentieren. Es sagt den Regierungen, ihr könnt nichts dagegen machen. Und es verteidigt bloß die Position der Reichen. Es stimmt schlicht nicht, dass nur Globalisierung und neue Technologien für die Ungleichheit verantwortlich sind. In den USA gibt es diese Entwicklung seit den 1950er-Jahren. Da gab es keine kommerziellen Computer, keine Globalisierung. Die Politik hat etwa in Großbritannien Probleme geschaffen, die sie auch wieder lösen kann.

STANDARD: Österreich ist im internationalen Vergleich ein sehr gleiches Land. Es gibt aber eine große Debatte darüber, dass Einkommen sehr stark und Kapital kaum belastet wird. Wie sehen Sie das?

Atkinson: Wie viel Steuern jemand bezahlen kann, hängt von seinem ganzen Einkommen ab. Ich finde also, es ist eine gute Idee, die Einkommen als Ganzes zu besteuern und nicht nach Arbeit und Kapital getrennt. Das haben viele Länder lange getan.

STANDARD: Der vielzitierte Thomas Piketty schlägt vor, eine globale Vermögenssteuer einzuführen. Ist das nicht unrealistisch?

Atkinson: Oh, nein! Was die globale Koordinierung betrifft, ist schon vieles passiert. Es gibt etwa eine globale Steuer für Fluglinien. Auch gegen Steueroasen wird gemeinsam viel getan. Der ehemalige französische Präsident Jacques Chirac hat etwa eine globale Einkommensteuer vorgeschlagen. Das wird, glaube ich, kommen. Auch was Unternehmenssteuern betrifft, sollte es viel mehr Koordinierung geben.

STANDARD: Sie forschen seit langem zum Thema Ungleichheit. Es brauchte aber das Buch Pikettys, um das Thema in die Schlagzeilen zu bringen. Wieso gelang das erst jetzt?

Atkinson: Organisationen wie die OECD und der Internationale Währungsfonds weisen schon länger darauf hin, hatten aber keinen so großen Einfluss. In den USA spricht das Buch viele an, die darüber besorgt sind, in einer so ungleichen Gesellschaft zu leben.

STANDARD: Wie wird das Buch von der Ökonomenzunft aufgenommen?

Atkinson: Ungleichheit war früher ein großes Thema in der Ökonomie, ist aber im Zuge der konservativen Bewegung in Politik und unter Intellektuellen von der Agenda verschwunden. Das Buch hat die US-Ökonomen gespalten. Ich glaube nicht, dass sich viel ändern wird. Die Leute machen mit dem weiter, was sie auch schon vorher getan haben. Wo es etwas ändern könnte, ist die Studentenbewegung in Europa. In Frankreich, Großbritannien und anderen Ländern wird viel getan, um das, was unterrichtet wird, zu ändern. Piketty zeigt, wie wichtig angewandte Forschung ist und was man mit historischen Daten machen kann. (Andreas Sator, DER STANDARD, 31.5.2014)