Trojanows Operama

Unser gegenwärtiges Opernleben ist reichhaltig, aber ist es auch relevant? Auf subjektiv eigenwillige Weise, in einem literarischen Ton, wird Ilija Trojanow die Bedeutung des Musiktheaters heute anhand von aktuellen Aufführungen in Wien und anderswo unter die Lupe nehmen. Und sich immer wieder die Frage stellen, ob und wie sich unsere Zeit in den Inszenierungen widerspiegelt. Hintergrundberichte, Porträts und Interviews runden das Operama ab.

Macbeth – nach Giuseppe Verdi (Bearbeitung Fabrizio Cassol)

Theater Odeon Wien, 24. Mai 2014. Premiere im deutschsprachigen Raum

Bild: Oliver Schopf

Dass Shakespeare in jede Kultur verpflanzt werden kann, dass seine Stücke in jedem Kontext funktionieren, ist hinlänglich erwiesen. Ob ähnliches für Giuseppe Verdi zutrifft, ist weitaus ungewisser. Brett Bailey aus Südafrika unternimmt das Experiment, "Macbeth" in den Kongo zu versetzen. Er hat den Komponisten Fabrizio Cassol gebeten, die Oper auf 90 Minuten zu kürzen und für ein kleines, mit Perkussionsinstrumenten verstärktes Orchester zu arrangieren.

Foto: Nicky Newman

Die glaubwürdige Umsetzung wird erleichtert durch ein in Afrika außergewöhnliches Förderprogramm: die Cape Town Opera bildet junge Talente aus, meist nach einem Musikstudium an der University of Cape Town. Einige der Studentinnen — Pretty Yende, Pumeza Matshikiza — feiern inzwischen internationale Erfolge. Die euphorische Reaktion des Wiener Publikums deutet auf ein Erstaunen darüber, dass Afrikaner klassischen, europäischen Operngesang beherrschen. Die Sänger und Sängerinnen dieser Produktion stammen alle aus dem südlichen Afrika, auch wenn eine Videoprojektion, gestaltet nach dem Vorbild der berühmt gewordenen Alltagskunst der kongolesischen Frisörschilder, gewieft behauptet, es handele sich um Flüchtlinge, Soldaten oder Minenarbeite aus Zentralafrika.

Macht, die psychischen Deformationen, die Macht verursacht, sind natürlich ein universelles Phänomen. Trotzdem kommt es auf der Bühne auf die konkreten Spezifika an. Kongo ist nicht nur Afrikas offene Wunde, sondern auch Europas fortwährende Schuld. Zu Zeiten des Kolonialismus, als das gewaltige Gebiet im Herzen des Kontinents, Privatbesitz des belgischen Königs Leopold II. war, wurde einer der schlimmsten Genozide der Menschheitsgeschichte verübt (einige Millionen Opfer!). Seitdem schwellen die Konflikte immer wieder an, zuletzt zu einem panafrikanischen Krieg, an dem fast alle benachbarten Staaten militärisch beteiligt waren. Das Land zerfiel in Einflusszonen, was internationale Konzerne nicht daran hindert ungestört Bodenschätze zu extrahieren, ohne die geringste Achtung von Menschenrechten.

Foto: Nicky Newman

Die politischen Zusammenhänge sind komplex und schwer auf das Kammerspiel in der Familie Macbeth zu reduzieren, weswegen Brett Bailey einige Male, etwa gegen Ende, bei der letzten Prophezeiung der drei Hexen, auf der Videoleinwand einen Crashkurs in internationalen Ausbeutungsmechanismen (ein fiktiver Konzern namens Hexagon) und Gewaltstrukturen abspult, im der besten Tradition des Agitprop, wogegen grundsätzlich nichts zu sagen ist, würde die gelieferte Information ein wenig über das hinausgehen, was ein jeder (zumindest unter den musiktheatralische Interessierten) aus der Zeitung längst weiß.

Kongo ist eine humanitäre Katastrophe und eine politische Sackgasse, abschreckendes Beispiel für vieles. Ob es geeignet ist als Schauplatz für Macbeth ist zweifelhaft.  Es gibt wichtige Unterschiede zwischen staatstragender Macht und der Position eines Warlords. Diese Unterschiede verwischt Brett Bailey. Macbeth und seine Lady inszenieren sich in jenen eitlen Selbstdarstellungen, die bei afrikanischen (aber nicht nur) Präsidenten nicht unüblich sind: im Leopardenfell (Sese Seko Mobutu), mit allen Possen der Macht (Idi Amin). Andererseits stehen sie als Warlords einer Räuberbande vor. Diese vulgäre Inszenierung funktioniert nur in einem halbwegs intakten Staatsgefüge mit einer Propaganda-Infrastruktur.

Viel irritierender ist jedoch, dass Bailey keine Anstalten unternommen hat, die Musik beim teilweise freimütigen Arrangement zu „afrikanisieren“. Einige Male sind karibische Rhythmen zu hören (die Macbeths tanzen dazu und ich musste an den Satz des großen somalischen Schriftstellers Nuruddin Farah denken: „Können wir Afrikaner nicht einmal auftreten, ohne tanzen zu müssen?“), nie aber – sei es bei der Wahl der Instrumente oder des Rhythmus – zentralafrikanische Anklänge, obwohl die bei der Videoprojektion alle nur denkbaren Zeichen und Zahlen und Chiffren und Symbole kongolesischen Provenienz eingesetzt werden. Just die Musik lehnt sich nach Norden, als habe sie Berührungsängste mit dem „schwarzen Kontinent“.

Der konzeptionelle Anspruch wird leider kaum eingelöst, Brett Bailey hat sich zu einfach gemacht, den europäischen Zuschauer auch zu wenig in die Pflicht genommen (außer in einer Projektion, als Handy und Tablet in direkten Zusammenhang gesetzt werden mit Mord und Versklavung).

Höhepunkt: Owen Metsileng als Lady Macbeth, von wuchtig bedrohlicher Erotik, zielstrebender Brutalität und ausdrucksstark in Gestik wie Gesang.

Coda: Es sollte erwähnt werden, dass ich einige Jahre in Kapstadt gelebt und mit dem südafrikanischen Komponisten Hans Huyssen eine „afrikanische“ Oper verfasste habe („Masque“), die dort aufgeführt wurde, mit einigen der in Wien gastierenden Sänger. (Ilija Trojanow, derStandard.at, 26.5.2014)