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Einer von insgesamt 17 Bisons, die in den Südkarpaten freigesetzt wurden. In Europa gibt es inzwischen mehr als 5000 davon.

Foto: Marius Becker/dpa
Karte: DER STANDARD

Holler blüht, Vögel singen, Bisons grasen. Seit Mitte Mai zeigen sich die rumänischen Südkarpaten wieder in alter Frühlingsidylle. Holler und Vögel sind aus der Region nie verschwunden, Bisons schon. Sie fehlten 250 Jahre lang. 1762 wurde in Rumänien der letzte freilebende Wisent erlegt. Nun sind die ersten wieder da: 17 zottelige, wuchtige Tiere mit dunk- len Augen und geschwungenen Hörnern.

Seit kurzem leben die Wildrinder im Tarcu-Gebirge, einem Landstrich im Südwesten Rumäniens. Mittel- und nordeuropäische Umweltaktivisten haben sie gebracht, in großen, roten Trucks aus Zuchtstationen in Schweden, Belgien, Italien, Deutschland und aus einem rumänischen Bisonpark rund 100 Kilometer nördlich.

Empfangen wurde die kleine Herde von rund 250 Einheimischen, Familien aus dem Dorf Armenis, 130 Kilometer südöstlich von Timisoara. Stundenlang warteten sie am Rand einer Forststraße auf die Transporter, die sie fünf Tage lang quer durch Europa gefahren hatten. Endlich konnten die Menschen dann den ersten Blick auf die Tiere werfen. Verunsichert blinzelten sie aus dem Laster heraus, blieben auf der Verladerampe stehen, rochen, schauten, liefen dann einen umzäunten Waldweg hinauf, einer hellgrünen Weide entgegen.

Erdbeeren, Edelweiß und Enzian

Armenis liegt im Banat, einem stark naturbelassenen Teil Rumäniens. Das Dorf ist umgeben von runden Bergen. Dichter Mischwald bedeckt sie, mitteleuropäische, alpine Vegetation. Die Gegend erinnert an Österreich, wie es wohl einmal war, wild und artenreich. Heumandln stehen herum, Pferde ziehen Karren über unasphaltierte Straßen, Wäsche hängt an langen Leinen über Streuobstwiesen.

Morgens singen die Vögel unglaublich vielstimmig, abends quaken die Frösche, ungewöhnliche Insekten lassen sich blicken, es brummt und summt. Auf den weichen Bergwiesen wachsen Erdbeeren, Edelweiß und Enzian, Süßgras, Glockenblumen, Nelkenwurz, alles duftet und blüht. Irgendwo hinter den Buchen, Eichen und Bergkiefern, zwischen Vogelbeeren und Alpenwacholder, verstecken sich Füchse, Wölfe, Luchse und Bären.

Intaktes Waldgebiet nennt man so etwas. Rumänien hat noch eine Menge davon. Abholzung oder Pläne für Skigebiete und Wasserkraftwerke bedrohen das Ökosystem, auch hier in den Tarcu-Bergen. Sie liegen in einem Natura-2000-Schutzgebiet und sind umgeben von vier Nationalparks. Die Wisente verleihen dem Landstrich nun einen Mehrwert, schützen ihn vielleicht vor Raubbau.

Von 54 auf 5000

"Die Leute hier sollen vor allem Freude an den schönen Tieren haben", sagt Frans Schepers von der Stiftung Rewilding Europe. "Wir wissen aus Erfahrung, dass Bisons Besucher anziehen, andernorts sind sie die Zugpferde für regionale Entwicklung." Rewilding Europe und WWF Rumänien haben die Tiere gebracht, nach mehr als zwei Jahren Vorbereitung.

Der König des Waldes wurde der europäische Bison früher genannt. Er ist größer als sein nordamerikanischer Verwandter. Bullen werden bis zu 800 Kilo schwer. Die Tiere fressen eine Menge, nicht nur Gras, auch Triebe und Zweige. Sie halten Landschaften offen, schützen Weiden und Lichtungen vor Verwaldung, garantieren Lebensräume.

Große Herden zogen einst über Europa, zwischen Nordspanien und dem Baltikum. 1927 hatte der Mensch fast alle Wisente getötet. 54 Exemplare überlebten in Gefangenschaft, die Vorfahren aller heutiger Exemplare. Mittlerweile gibt es wieder mehr als 5000 dieser Wildrinder, etwas mehr als die Hälfte davon lebt in Freiheit, unter anderem im deutschen Rothaargebirge, im Kaukasus, in Weißrussland und in der Slowakei. Es fehlte Rumänien. "Wenn du an Auswildern und damit an das langfristige Überleben des größten europäischen Landsäugers denkst, dann kommen dir sofort die Karpaten in den Sinn", sagt Frans Schepers, "hier hat es immer Bisons gegeben."

Europa wilder machen

Wisente sind eine Schlüsselart für den Erhalt der Artenvielfalt und stehen als Symbol für eine neue, europaweite Bewegung. "Wir wollen die Natur sich selbst überlassen", erklärt Frans Schepers den Gedanken hinter der Aktion, "wir wollen einen Schritt zurücktreten und Europa wieder wilder machen."

Das passiert derzeit in sechs Regionen Europas, in Italien, Spanien, Portugal und Polen, in Kroatien und Rumänien, in der Slowakei und in der Ukraine. Die Natur entwickelt sich frei, der Mensch schaut zu. "Wildnis lockt Menschen an, das sehen wir in Nordamerika oder Afrika", sagt Schepers, "warum nicht das Gleiche in Europa versuchen?"

Europas letzte Wildgebiete seien nur dann zu erhalten, meint Schepers, wenn sie deren Bewohnern wirtschaftlichen Nutzen bringen. "Nur dann sehen sie einen Sinn darin, die Natur zu schützen."

Armenis will nun als Bison Village bekannt werden, Safaris in die Wildnis organisieren, Naturtouristen anziehen. Freude und Stolz erfüllte die Bewohner, als sie den Tieren bei der Ankunft zusahen. Sie machten Fotos, nahmen die Kinder auf die Schultern, hörten auf zu sprechen, staunten. Armenis identifiziert sich mit den neuen Nachbarn, die nun auf rund 800 Meter Höhe leben. Sie stehen für altes Erbe und den Beginn von etwas Neuem. Fast 60.000 Hektar stehen den Wisenten zur Verfügung, in zehn Jahren sollen 500 Tiere über die Berge ziehen, in mehreren Herden - der dann wohl größte frei lebende Bestand überhaupt.

Ein Teil des Kulturerbes

Bürgermeister Petru Vela, von Beruf Tierarzthelfer, war von Anfang an begeistert. "Wir sind stolz auf unsere Bisons", sagt er lächelnd, "sie werden uns ein neues Image verleihen." Die Rumänen assoziieren den Zimbru mit Kraft, Zähheit und Überlebenswille.

"Bisons sind Teil unseres Kulturerbes", sagt Adrian Hagatis von WWF Rumänien, "sie sind auf Wappen, in Legenden und Ortsnamen verewigt. Auch wenn sie ausgestorben waren, sind sie doch nie aus unserer Erinnerung verschwunden." Hagatis ist nun für das Wohlergehen der Herde verantwortlich, gemeinsam mit drei Wildhütern aus dem Dorf. Wenn alles gutgeht, will Armenis im September die ersten Safaris organisieren. Wildtierexperte Joep van de Vlasakker, der auch den Transport quer durch Europa organisiert hat, hilft den Rumänen bei der Vorbereitung. Der Niederländer ist optimistisch: "Das Team funktioniert hervorragend, die Leute sind hoch motiviert." (Brigitte Kramer aus Armenis, DER STANDARD, 28.5.2014)