Reduziertes Bühnenbild: "Die Schutzbefohlenen".

Foto: Ch. Kleiner

Mannheim - Jedes Mal in einer anderen deutschen Stadt findet alle drei Jahre das Festival Theater der Welt statt, ein Theaterhöhepunkt. 2014 in Mannheim will man sich dabei wohl auch für die Bewerbung als Kulturhauptstadt 2025 vorbereiten. Denn das erstmals von Mathias Lilienthal ausgerichtete Programm versucht vor allem, den theatralischen Raum zu erkunden und zu erweitern: Fotografie, urbane Ausflüge, daneben bildgewaltige Shows aus Russland oder Japan.

Programmatisch ist der politisch ambitionierte Auftakt mit der Uraufführung von Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen, einer Tragödie über Asylsuchende in Lampedusa. Doch die Produktion wirkt altbewährt und konventionell, zumal Jelinek in Die Schutzbefohlenen eines der ältesten Dramen verwoben hat: Die Schutzflehenden des Aischylos, in dem die 50 Töchter des Danaos vor einer Zwangverheiratung von Ägypten nach Argos fliehen; dort könnte ihnen aber aus politischen Gründen das Asyl verweigert werden.

Als Jelinek-Regisseur erprobt ist seit seiner Das Werk-Inszenierung (2003) am Akademietheater sicherlich auch Nicolas Stemann. Kabarettistisch kalauernde Einlagen, persönliche Kommentare der Schauspieler, die Autorin als Figur ihres eigenen Dramas: Der Zugriff auf Jelineks Textschleifen scheint inzwischen in Stemanns Arbeiten Routine, doch bei den Schutzbefohlenen halten sich solche Einfälle zunächst in Grenzen.

Sesseltanz auf der Bühne

Wie fast immer halten die Schauspieler die Manuskripte in der Hand, doch diesmal scheinbar weniger, um zu demonstrieren, wie sehr sie mit dem Text kämpfen; vielmehr wirken die Seiten wie Notenblätter eines sehr präzise musizierten und instrumentalisierten Textes: ein Mischpult und ein Klavier auf einer zunächst nur mit Sesseln bestückten Bühne (Anja Hertkorn); die Schauspieler (Sebastian Rudolph, Daniel Lommatzsch, Felix Knopp, Barbara Nüsse) mal weinerlich, ironisch, wütend, trotzig - später mit fremdländischem Akzent.

Jelineks Vorlage von zorniger existenzieller Schärfe bietet keinen Rückzug in humoristische Nebengeleise. Zu den vier etablierten Darstellern gesellen sich später auch zwei schwarze Schauspieler und eine weitere weiße. Wer spricht hier für wen die Gebete, die Gesuche, die Klagen? Um die vier Vortragsplätze entbrennt sogleich ein "Sesseltanz"-Spiel. Hektisch bemalt man sich das Gesicht, schwarz, weiß - auch rot: ein ironischer Verweis auf die Blackfacing-Debatte.

Peter Sellars hatte vor zwölf Jahren mit Asylwerbern die selten gespielte Tragödie der verbannten Kinder des Herakles von Euripides aufgeführt. Eine Produktion, die an vielen Orten auf Tournee war, unter anderem auch 2008 im Alten Sitzungssaal des Wiener Parlaments. Man konnte das freilich schnell als naives politisches Theater abwehren.

Auch Stemann hat - wie bereits für die Urlesung des Textes 2013 in der Hamburger St. Pauli-Kirche - zusätzlich einen Chor von Asylanten gecastet. Sie stecken hinter dem Stacheldraht, der langsam vor der Festung Europa aufgezogen wird. Doch das ausweglose Dilemma, wer hier für wen Sprachrohr sein könnte, wird nicht gelöst, sondern selbst zum Thema. "Nichts und niemand nimmt uns auf, das ist unerhört! Und unerhört bleiben auch wir."

Am Ende viel Aktion: Broschüren des Innenministeriums prasseln auf die Akteure. Eine Predigtkanzel verweist auf die Besetzung der Votivkirche. Anna Netrebkos Blitz-Einbürgerung bringt viele zum Singen, am schauerlichsten wohl der Bärli-Song zu Teddybären auf Kindersärgen: Witzeleien, die sogleich im Halse stecken bleiben. (Bernhard Doppler, DER STANDARD, 27.5.2014)