Hotelzimmer als Kommandozentralen dreier Unternehmensberater: Sebastian Blomberg, Katharina Schüttler und Devid Stresow (v. li.) in "Zeit der Kannibalen".

Foto: Polyfilm

Wien – Diese beiden Herren verschieben zum Frühstück hundertzwanzig Millionen Dollar von Indien nach Pakistan. Einfach so. Weil es ihnen gefällt. Weil von Indien ohnehin jeder weiß, dass diesem Land die Zukunft gehört, Pakistan aber die größere Herausforderung darstellt. Es ist der Reiz des Neuen, des bisher Unerprobten, der Öllers (Devid Striesow) und Niederländer (Sebastian Blomberg) antreibt.

Ihre Kommandozentralen sind die Luxushotels in den Metropolen, ihr eloquenter Zynismus ist ihre stärkste Waffe. Wenn der Schmutz an den Hotelfenstern den Blick nach draußen verwehrt, sind sie wie eben jetzt möglicherweise gerade in Afrika und behaupten stolz, den Kapitalismus als Entwicklungshilfe in rückständige Länder zu bringen. Und selbst wenn das dumpfe Rattern von Maschinengewehren auf den Straßen in ihre Festung dringt, fühlen sich die beiden Unternehmensberater pudelwohl beim Tanz auf dem Vulkan.

Zeit der Kannibalen, der zweite Spielfilm des deutschen Regisseurs Johannes Naber (Der Albaner), präsentiert sich als atmosphärisch dichtes Kammerspiel, das seine Figuren vorsorglich aus emotionaler Distanz verfolgt. Denn diesen beiden selbstverliebten kapitalistischen Bluthunden bei der Arbeit zuzusehen, verhindert jede Identifikation und jedes mögliche Verständnis für private Probleme, wie sie etwa Öllers telefonisch verfolgen. Den bekümmerten Familienvater nimmt man ihm ohnehin nicht ab – schon eher der bald zu ihnen stoßenden jungen Kollegin März (Katharina Schüttler) ihre zur Schau gestellte Empathie für ausgebeutetete Zimmermädchen.

Dass die wortreich und unmissverständlich vorgetragene Systemkritik nicht zur Phrasendrescherei gerät, verdankt sich einerseits der Glaubwürdigkeit, mit der die rhetorischen Scharmützel zwischen dem Trio ausgetragen werden, andererseits vor allem dem pointierten Drehbuch von Stefan Weigl, der sich als Hörspielautor einen Namen gemacht hat: Zeit der Kannibalen stellt seine Protagonisten durch Aussagen und Verhalten so unbarmherzig bloß wie diese ihre Verhandlungspartner.

Ständig reagiert die Gruppe auf äußere Ereignisse – auf die Nachricht vom Tod eines Kollegen, auf die dramatische Entwicklung innerhalb ihrer bloß als "Company" titulierten Firma, und nicht zuletzt auf eine zunehmende physische Bedrohung –, während der Bewegungsspielraum der Finanzjongleure buchstäblich enger wird. Daran lässt dieser Film keine Zweifel: Die Zeit der Kannibalen läuft ab.

Im Gegensatz zu vergleichbaren US-amerikanischen Arbeiten wie dem Finanzthriller Der große Crash – Margin Call oder zuletzt Martin Scorseses Börsenmakler-Biopic The Wolf of Wall Street versucht sich Zeit der Kannibalen erst gar nicht an einer Psychologisierung seiner Figuren, sondern verwendet sie durchaus vorteilhaft als Schablonen: Der Zyniker, der Eitle und die Strippenzieherin sind keine Menschen, die sich vom System haben manipulieren lassen, sondern sich dieses zunutze machen, um ihr wahres Gesicht zeigen zu können. Insofern erinnert Zeit der Kannibalen an einen eineinhalbstündigen Kehraus, an dessen Ende die Masken fallen müssen.

Ausschließlich in Studiokulissen gedreht und auf eine dramatische Zuspitzung zielend, erfährt die Theaterhaftigkeit dieses Films eine besondere Bedeutung: In einer globalisierten Welt spielen Räume keine Rolle mehr. Jedenfalls solange nicht, bis ein Hotelzimmer zum Panic Room wird. (Michael Pekler, DER STANDARD, 27. 5. 2014)