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Für die Schule lernen oder für das Leben? Der Weg zum Erwachsenenleben ist meistens keine gemähte Wiese.

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Birgit Bütow lehrt und forscht aktuell an der Universität Salzburg.

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Wien/Salzburg - Den Topos von der verderbten Jugend gab es bereits in der Antike. Trotzdem hat sich in Bezug auf die Jugend etwas sehr Entscheidendes geändert: Der Begriff bezeichnet heute etwas anderes. "Jugend als Altersgruppe gab es immer schon", sagt die Soziologin und Sozialarbeitswissenschafterin Birgit Bütow, seit dem Vorjahr Professorin für Sozialpädagogik, Beratung und Intervention an der Universität Salzburg.

"Aber diese Konstruktion von 'Jugend' als sozialer Gruppe mit besonderen Merkmalen, die gibt es im Grunde erst seit dem 20. Jahrhundert." Durch die Befreiung von bestimmten Verpflichtungen sei eine Stundung auf dem Weg zum Erwachsenenwerden entstanden.

Bütow hielt am 21. Mai im Rahmen der Vortragsreihe "Soziale Bedingungen von Bildung" im Unipark Nonntal einen Vortrag zum Thema "Bildungsprozesse von Jugendlichen in Peergroups und Jugendkulturen". Darin thematisierte sie, vor welche Probleme das "Bildungsmoratorium" die Jugendlichen stellt und wie diese bewältigt werden.

Identitätskonflikte

Zum einen geht es um existenzielle Fragen: "Bildungszertifikate in Schule und Ausbildung bestimmen Überlebenschancen. Das Problem: Soziale Ungleichheiten, insbesondere unter Jugendlichen, sind durch formale Bildungsunterschiede gekennzeichnet." Über den Bildungserfolg entscheidet immer noch das Elternhaus.

Daneben aber muss die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit bewältigt werden: "Da entzünden sich Identitätskonflikte", sagt Bütow. "Was bin ich denn eigentlich? Was möchte ich sein? Als was definiere ich mich in Bezug auf meine Sexualität? Was ist Vertrauen? Das sind wichtige Fragen, die unter Gleichaltrigen anders lösbar und diskutierbar sind als unter Erwachsenen." Denn die einzig richtige Antwort auf eine Frage gibt es in der pluralistischen Postmoderne oft nicht mehr.

Geschlecht entwickelt sich "subkutan"

Bütow, die sich in ihrer Forschung auch intensiv mit Genderaspekten auseinandersetzt, interessiert hier speziell die Geschlechtskonstruktion. Diese bilde sich erst im Zusammenspiel mit der Gruppe heraus: "Man wird nicht als Einzelindividuum zum Geschlechtswesen", erklärt Bütow.

"Geschlecht wird in Handlungen konstruiert; indem man miteinander spielt, rauft, sich Briefchen schreibt oder wie auch immer - das hat immer eine geschlechtsdifferenzierende, zuweisende Funktion." Auch Sprache oder Spielzeug erfüllten diese Funktion. "Im Prinzip wird dies quasi subkutan entwickelt. Man erkennt sich in der Ähnlichkeit in dem anderen wieder."

Auch im Bereich der Sexualerziehung ist Bütow der Meinung, dass vieles in der Gruppe der Jugendlichen selbst passiert: "Das Reden untereinander über das, was man weiß, was man erfahren hat - das ist ein sehr wichtiger Weg." Natürlich befänden sich die Jugendlichen dabei alle auf einem ähnlichen Wissensstand. "Es bedarf auch einer Thematisierung der uralten Fragen", betont Bütow. "Wie lerne ich denn eigentlich einen Jungen kennen? Wie geht denn das mit dem Küssen? Hier bedarf es einer sehr sensiblen, nicht vordergründig pädagogisierenden Haltung."

Streitfall Sexualkunde

Der Sexualkunde im Unterricht steht sie skeptisch gegenüber. "Sobald solche formellen Geschichten stattfinden, hat das für mich immer ein Geschmäckle." Die Lehrperson sei eben immer auch "die Sanktionsgeberin": "Eine Lehrerin bleibt immer eine Lehrerin, und wenn sie noch so nett ist."

Genau bei solchen Fragen komme die Jugendarbeit ins Spiel - wobei Bütow kritisch anmerkt, dass statt Kooperation allzu oft Indienstnahme stattfinde. "Die Realität sieht leider so aus: Der Lehrer sagt, wir haben da einen Schüler, der macht Probleme. Kümmern Sie sich mal um den." Dabei sollte eigentlich die Sozialpädagogik eigene Angebote machen und darauf reagieren, was die Jugendlichen bewege. "Der Schüler wird oft nur sehr reduziert wahrgenommen", sagt Bütow dazu.

Kein Dienstleister

Für sie geht es in der Jugendarbeit vor allem um benachteiligte Jugendliche. Gerade in strukturschwachen Gebieten sollten Freizeitmöglichkeiten angeboten werden und Ansprechpartner und -partnerinnen zur Verfügung stehen. Nach dem Vorbild Deutschland will sie auch in Österreich eine Jugendhilfeplanung etablieren - anhand von konkreten Statistiken und Zahlen soll dabei der Bedarf für Jugendangebote besser begründbar werden.

Diese sollen dabei eben nicht Dienstleister von Schule und Ausbildung sein. Jugendarbeit, so plädiert Bütow, müsse ein "offenes Projekt" sein, das sich "den gängigen Vorstellungen von Effektivität entzieht." Das könne das altbekannte "Anerkennungsvakuum" der Gesellschaft gegenüber den Jugendlichen füllen. (Andrea Heinz, DER STANDARD, 21.5.2014)