Mein Europa? Eine Einheitswährung und keine Zollkontrollen, das mögen Fortschritte sein. Aber was für die Wirtschaft gut ist, ist nicht unbedingt für alle gut, wie sich gezeigt hat, und mir ist es nicht entscheidend wichtig. Ich würde ja nicht die Schweiz vermeiden, nur weil ich dort einen Pass brauche und mit Franken zahlen muss.

Was dann? Dass mir Österreich offener, freier, weniger verbiestert vorkommt als früher, das mag mit der EU zu tun haben, wohl auch mit Kreisky und Erasmus, mit mehr Reisen und Zuwanderung. Schon rein geografisch scheint mir im Gegenzug Europa heute zugänglicher und "näher", und nicht nur wegen der Billigfluglinien.

An die Stelle meines Hurra-Patriotismus aus der Volksschulzeit ist zwar keine EU-phorie getreten, aber sehr wohl das Gefühl, dass ich als Mittelschichtsbürger im Nachkriegseuropa, global gesehen, auf die Butterseite gefallen bin. Fast 70 Jahre lang kein Krieg unter den bis dahin tödlich verfeindeten Ländern, das war schon eine Leistung. Garantie für die nächsten sieben Jahrzehnte ist es natürlich keine, im Gegenteil. (Ex-)Jugoslawien war ein Sturmzeichen, die Abschottung der "Festung" am Mittelmeer ist eine Schande, der Ostrand zurzeit ein Brandherd.

Trotzdem, und es mag ein schwacher Trost sein, aber wenn jemand Europa ganz furchtbar findet, frage ich: "Verglichen womit?" (Michael Freund, DER STANDARD, 24.5.2014)