"Er ist besessen von der Literatur, er hat immer mindestens zwei Bücher im Kopf": Florin Lazarescu ist in seiner Heimat ein arrivierter Autor, der aber finanziell nur von Film und TV leben kann.

Foto: Mircea Truteanu

Unser Sonderberichterstatter von Florin Lazarescu ist ein buntes Fresko Rumäniens nach der Wende. In Iasi sehe ich die brandneue Taschenbuchausgabe des Romans, der mittlerweile auch ins Französische, Spanische, Italienische, Slowenische, Kroatische und Ungarische übersetzt wurde, in allen Buchhandlungen. Als ich den Autor treffe, schenkt er sie mir - nicht weil er mich überschätzt und glaubt, ich könne Rumänisch, sondern mit der verschmitzten Bemerkung, das Coverfoto habe er bei seinem letzten Wien-Aufenthalt gemacht. Besser hätte er mein Vorhaben, Schauplätze des Romans in Iasi aufzusuchen, nicht ironisieren können.

Lazarescu stellt sich nie eine konkrete Stadt vor, wenn er schreibt, und er betont, der Roman sei nicht in Iasi lokalisiert. Er selbst kann freilich nur in dieser Stadt leben - hier hat er Literaturwissenschaft studiert, im Verlag gearbeitet und im Vorjahr ein Literaturfestival organisiert; viele Leute kamen, alle wussten davon, auch die Taxifahrer, erzählt er mit leuchtenden Augen. Der vierzigjährige Florin Lazarescu ist in Rumänien ein arrivierter Autor, vor seinem Roman Trimisul nostru special (Unser Sonderberichterstatter) sind Bücher von Aldous Huxley, Haruki Murakami, Henry James, Elif Shafak und Catalin Dorian Florescu in derselben Taschenbuchreihe erschienen. Aber finanziell überleben kann Lazarescu nur vom Film und vom Fernsehen. Er hat unter anderem das Drehbuch für den Kurzspielfilm The Tube with a Hat von Radu Jude geschrieben, der weltweit mit zahlreichen Filmpreisen ausgezeichnet wurde. Doch besessen ist er von der Literatur; immer hat er mindestens zwei Bücher im Kopf.

"In Rumänien muss man nur das Fenster aufmachen oder den Fernseher einschalten, schon finden sich Geschichten", sagt Florin Lazarescu. Neben uns auf der Terrasse des Cafés sitzt ein Pope - der einzige Mann mit einem schicken Rucksack, den ich in Iasi entdecken konnte. Und während wir uns unterhalten, geht ein alter Mann mit einer Krücke und einem Einkaufssackerl an uns vorbei ins Geschäft - seine Polizeiuniform mit den mir unbekannten Rangabzeichen ist beeindruckend.

Ja, hier müssen Geschichten zu finden sein. Aus Florin sprudeln sie nur so hervor - seine Wurzeln liegen im nur etwa 30 Kilometer entfernten Dorf Doroscani, wo er 1974 geboren wurde und seine Eltern noch leben; dort wurden viele Geschichten erzählt. Im letzten Prosaband hat er "seine" Kriegserinnerungen aufgeschrieben - diese Erinnerungen wurden ihm so intensiv erzählt, dass er sie wie seine eigenen Erfahrungen empfand. Seine Schwester lebt in London, dort fährt sie eine Stunde zur Arbeit, er hingegen freut sich, dass er in einer halben Stunde im Dorf sein kann, wie er in fließendem Englisch erzählt. Er hatte einmal ein Superangebot mit einem guten Gehalt nach Bukarest, doch er hat es abgelehnt: Schon dort wäre er fremd, außerdem ist die eigene Zeit das wichtigste Gut. Die Zeit zum Erzählen, zum Schreiben.

"Frustrierend", sagt mir Florin Lazarescu, "ist in Rumänien nur die Politik." Alles ist polarisiert: Entweder ist man für den Präsidenten oder für den Ministerpräsidenten. So kann man sich auf diesem Feld als Autor gar nicht äußern, sonst gilt man sofort als "gekauft". Und die Politik greift auch in die Kultur ein: Vor kurzem, erzählt Florin, wurde ein guter Mann, der für die Auslandskultur zuständig war, durch einen inkompetenten ersetzt. Doch es gibt Inseln der Normalität - Florin nennt als erste seinen in Iasi ansässigen Verlag Polirom, bei dem er einige Jahre auch angestellt war und sich für junge AutorInnen einsetzen konnte.

Die Polit- und Medienszene Rumäniens in den 1990er-Jahren hat Florin Lazarescu im Sonderbrichterstatter-Roman mit satirischen Elementen gezeichnet. Beim Begräbnis eines bekannten Journalisten ist der Besuch des rumänischen Staatspräsidenten angekündigt. Der Sonderberichterstatter Antonie lauert ihm auf, um ein Statement zu erhaschen, der arabische Terrorist Mohammed, um ihn in die Luft zu jagen; doch das Begräbnis wurde in letzter Minute in eine andere Kirche verlegt. Als Antonie bei einer Pressekonferenz doch noch auf den Präsidenten trifft, wird er von dessen Leibwächtern mit einem Schlag ins Gesicht niedergestreckt. Er verliert das Bewusstsein und fällt in einen orangefarbenen Tunnel, in dem sein ganzes bisheriges Leben Revue passiert. Spannung, Humor und Gesellschaftsanalyse verbinden sich produktiv.

Insider-Geheimnisse

Dass ich bei diesem Roman viel gelacht habe, versteht Florin, er sagt allerdings: "Ich schreibe nicht, um Menschen zum Lachen zu bringen, sondern weil mich die Absurdität der Existenz interessiert, die einen zum Lachen bringt." Er wollte ursprünglich auch kein Fresko der Gesellschaft malen - das entstand durch die Figuren und die Welt, in der sie leben. Lazarescu kannte die Medienwelt und wusste viele Insider-Geheimnisse. So ist zum Beispiel die Geschichte vom Foto in der Zeitung, neben dem "FOTO: Hau ihr einen verfickten schwarzen Balken über die Augen!" stand, ganz genau so in Iasi passiert. Lazarescu geht immer von realen Handlungen aus, von Menschen, die er kennt, erzählt aber nie nur das, was er gesehen hat, sondern macht Fiktion daraus. Und er schreibt seine Bücher vom Anfang und vom Ende her - bevor er nicht den Schluss, die letzten drei, vier Seiten stehen hat, kann er den Roman nicht schreiben.

"Was hat das heutige Rumänien noch mit der Romanwelt des Sonderberichterstatters gemein?", frage ich ihn. Das Rumänien von heute ist um einiges normaler als damals, konstatiert Florin: "Wir sind EU- und Nato-Mitglied geworden und nicht in der Situation wie Moldawien oder die Ukraine." Aber die Rumänen, denkt er, sind noch immer nicht jene "westlichen Schweine", als die sie der arabische Terrorist im Sonderberichterstatter in die Luft jagen will. "Man fühlt den Unterschied auf der Straße, wir sind nicht wie Engländer oder Deutsche." Bei einem Kroatien-Aufenthalt hat er dieselbe Art von Zynismus kennengelernt, die auch zu Hause zum Überleben notwendig war - und Witze, die ein "Westler" nicht verstehen kann. Was keine Frage der Intelligenz ist, sondern eine der Atmosphäre, des kulturellen und historischen Hintergrundes.

In einer Stadt ohne historischen Hintergrund, ist Florin überzeugt, wäre er nicht Schriftsteller geworden. Darum kehrt er von jeder seiner Reisen wieder gerne zurück in seine Stadt. Er erzählt von Iasi im 19. Jahrhundert, das ein Schmelztiegel war: Polen, Österreicher, Deutsche, Bulgaren und viele Griechen lebten in der Stadt, die lange als kulturelle Hautstadt Rumäniens galt. Auch die fundamentale Bedeutung der Erinnerung hat Florin Lazarescu seinem Sonderberichterstatter eingeschrieben - der Journalist wird aus der Erinnerungslosigkeit der Medienwelt hinauskatapultiert, und im orangefarbenen Tunnel kehrt seine ganze wunderbare Vergangenheit zu ihm zurück. Sein Vater oder der Mönch, der auch eine wichtige Rolle spielt - das ist eine ganz andere Welt; die freilich ebenso ironisch gespiegelt wird. Darum kehre ich zu diesem Roman genauso gerne zurück wie Florin Lazarescu in sein Iasi. (Cornelius Hell, Album, DER STANDARD, 24./25.5.2014)