Schuldig! Die russische Staatsanwaltschaft kann den Prozess nach dem Urteil der Geschworenen gegen die Mörder der Journalistin Anna Politkowskaja als Erfolg abhaken - im Gegensatz zur Blamage von vor fünf Jahren, als es einen Freispruch aus Mangel an Beweisen gab. Die wichtigste Frage wurde aber auch im seit vergangenem Sommer laufenden Wiederholungsprozess nicht beantwortet: Wer sind die Hintermänner der Bluttat?

"Unserer Meinung nach ist das Verbrechen erst aufgeklärt, wenn der Auftraggeber gefunden wurde", kommentierte Politkowskajas Sohn Ilja Politkowski den Ausgang. Neue Fakten förderten die russischen Behörden in den vergangenen Monaten nicht zutage. So ist zu befürchten, dass mit der Verurteilung der fünf tschetschenischstämmigen Täter der Fall zu den Akten gelegt wird.

Dabei müsste der Kreml mehr als alle anderen Institutionen ein Interesse an der vollständigen Aufklärung haben. Politkowskaja war mit ihren schonungslosen Reportagen aus Tschetschenien als kompromisslose Kritikerin Wladimir Putins bekannt, was diesen nach dem Mord - ausgerechnet an seinem Geburtstag - zu dem Kommentar verleitete, ihr Tod schade Russland mehr als ihre Artikel. Umso wichtiger wäre eine lückenlose Aufdeckung des Mordkomplotts gewesen, um alle Spekulationen zu beenden. Die Chance dazu scheint vertan. Und ein Beigeschmack bleibt. (André Ballin, DER STANDARD, 22.5.2014)