Die Reaktionen des ORF auf den Erfolg von Conchita Wurst haben wieder einmal gezeigt, dass der Sieg viele Väter hat - oder vielleicht doch nur eine Mutter. Aber auch die weiteren Konsequenzen erinnern an eine komplizierte Familienaufstellung, denn nun hat der Streit ums Erbe begonnen. Konkret geht es um den Austragungsort des nächsten Song Contest. Laut Alexander Wrabetz hätten sich bereits "mehr als ein Dutzend Orte aus sieben Bundesländern gemeldet". Unter den selbsternannten Kandidaten finden sich Perlen der heimischen Infrastruktur wie die ehemalige "Hypo-Alpe-Adria-Arena" in Klagenfurt, die nicht minder schmucke und von übermäßiger Abnutzung durch Besuchermassen bisher ebenso verschont gebliebene "Niederösterreichische-Versicherung-Arena" zu St. Pölten, das Atomkraftwerk Zwentendorf, der Rathausplatz von Gmunden, die international noch als Geheimtipp geltende Burgenland-Halle in Oberwart oder ein Reparatur-Hangar am Flughafen Schwechat.
Nachdem all diese Vorschläge ernst gemeint sind und zum Teil sogar von den jeweiligen Landeshauptleuten persönlich unterbreitet wurden, sollten wir sie auch ernst nehmen. Allerdings nicht in dem Sinn, die Standorte gegeneinander auszuspielen, etwa bei der Frage: Wo könnte es Song-Contest-Besuchern am besten gefallen? (Fans aus den Pleitestaaten Griechenland und Portugal könnten sich im Kärntner Hypo-Stadion besonders zu Hause fühlen, während Gäste aus Weißrussland vermutlich den Hangar wegen seiner Nähe zur Erstaufnahmestelle für Asylwerber bevorzugen würden.) Vielmehr sollte der den teilweise fast schon rührenden Ortswünschen zugrunde liegende Föderalismusgedanke aufgegriffen werden, denn dieser könnte tatsächlich zu einer alle glücklich machenden Lösung führen.
Nämlich bei der Frage der Finanzierung. Auf 25 Millionen Euro schätzt man derzeit die Kosten der Veranstaltung - ein Betrag, der die realen Möglichkeiten des ORF weit übersteigt. In einem beispielgebenden Akt der über Bundesländergrenzen hinaus wirkenden gesamtösterreichischen Solidarität könnten sieben Landeshauptleute beschließen, dass sie 2015 ausnahmsweise die von ihnen normalerweise einbehaltenen Rundfunkgebühren tatsächlich an den ORF weiterleiten - nur Oberösterreich und Vorarlberg haben bei der gut getarnten Geldbeschaffungsaktion bislang nicht mitgemacht. Im Vorjahr wurden durch den einer breiten Öffentlichkeit nach wie vor kaum bekannten Etikettenschwindel unfassbare 131,9 Millionen Euro in die jeweiligen Landesbudgets gespült. Um dieses Geld könnte man sechs Song Contests gleichzeitig austragen. Oder eine mobile Song-Contest-Halle bauen, die in jedem Bundesland Station macht. Oder den Gmundner Rathausplatz samt Atomkraftwerk in die Burgenland-Halle stellen.
Oder noch besser: einfach einen normalen Song Contest in einigermaßen würdigem Rahmen veranstalten und mit dem restlichen Geld dafür sorgen, dass der ORF seinen Kultur- und Bildungsauftrag erfüllen kann. Und in wirklich allen Bereichen politisch unabhängig wird.
Wem dieser Vorschlag vernünftig erscheint, kann dies auch kundtun. Die Facebook-Seite "ORF-Gebühren auch wirklich dem ORF" geht demnächst online. (FLORIAN SCHEUBA, DER STANDARD, 22.5.2014)