Chirurg Etienne Wenzl: "Chemo wird nur zur Verkleinerung des Tumors vor der OP eingesetzt."

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STANDARD: Wie spielt sich die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs im klinischen Alltag ab?

Wenzl: Das hängt davon ab, wo der Krebs liegt. Wenn er nahe am Gallengang liegt, entdeckt man ihn möglicherweise recht früh, weil das Karzinom dann zu einem Verschluss oder einer Behinderung des Gallenabflusses führt, worauf der Patient Gelbsucht bekommt. Und diese kann ein Hinweis auf den Krebs sein. Andere Lokalisationen sind problematischer, dort wird der Tumor meist erst in einem Stadium entdeckt, wenn er möglicherweise bereits metastasiert ist und Schmerzen verursacht. Dann ist Heilung sehr unwahrscheinlich. In wenigen glücklichen Fällen wird Bauchspeicheldrüsenkrebs auch durch Zufall bei einer Computertomografie entdeckt.

STANDARD: Wie geht es dann weiter?

Wenzl: Die Gold-Standard-Therapie ist die chirurgische Entfernung des Krebsherdes und der nahe gelegenen Lymphknoten. Hier muss man funktional denken und nicht nur so wenig wie möglich krankes Gewebe entfernen, denn die ersten Stationen der Metastasierung sind meist die Lymphknoten, die an das Organ angrenzen.

STANDARD: Eine große Operation?

Wenzl: Je nach Lage des Tumors. Es kann sein, dass auch Teile des Zwölffingerdarms und des Magens entfernt werden müssen. Das bedeutet, dass vieles im Bauchraum operativ umgestaltet werden muss – es müssen neue Verbindungen zwischen Gallengang, Dünndarm, Magen und dem Rest der Bauchspeicheldrüse geschaffen werden.

STANDARD: Welche Konsequenzen hat das für Patienten?

Wenzl: Verdauungsprobleme und Stoffwechselstörungen. Wenn zum Beispiel nur der Schwanz der Bauchspeicheldrüse entfernt werden muss, ist es zwar eine deutlich weniger belastende Operation, die Konsequenz für den Patienten ist jedoch zumeist Diabetes, weil die zuckerregulierenden Zellen sich dort konzentrieren.

STANDARD: Gibt es Alternativen zur chirurgischen Entfernung?

Wenzl: Eigentlich kaum. Erfolge mit Chemotherapie oder Strahlentherapie sind bescheiden. Chemo wird hauptsächlich vor der OP eingesetzt, um den Tumor zu verkleinern oder überhaupt operabel zu machen, kann auch nach der Operation eingesetzt werden, um ein Rezidiv zu verhindern.

STANDARD: Ist jedes Pankreaskarzinom operabel?

Wenzl: Nein. Wenn der Krebs bereits in angrenzende Organe oder in für die Bauchversorgung wichtige Blutgefäße eingewachsen ist, was leider häufig und sehr schnell passiert, kann man nicht operieren. Prognostisch problematisch ist eine OP auch, wenn die Lymphknoten befallen sind. Und leider hat das Pankreaskarzinom noch eine fürchterliche Eigenschaft – es wächst sehr gerne auch in umliegende Nervenbahnen ein, etwa in den Solarplexus. Das verursacht starke Schmerzen, hier kann man leider wenig tun, außer zu versuche, die Schmerzen zu lindern.

STANDARD: Laut Studien steigt die Zahl der Neuerkrankungen. Können Sie sich erklären, warum?

Wenzl: Nein, das ist es ja, wir haben noch viel zu wenig Wissen über diesen Krebs, das ist eine große Herausforderung für die Wissenschaft und Forschung. Ich vermute, dass irgendein derzeit relevanter Umweltfaktor für die steigenden Zahlen verantwortlich sein könnte. (Andreas Feiertag, DER STANDARD, 20.5.2014)