Grob oder fein, gedeckt oder farbenfroh: Die Stoffe der Hallstatt-Kultur zeigen dank ihres hervorragenden Erhaltungszustandes eine überraschende Vielfalt.

Foto: NHM Wien, A. Rausch

Hallstatt/Wien - Coco Chanel machte sie berühmt, doch in Verwendung sind Stoffe mit Hahnentritt-Muster bereits etwas länger: Archäologen haben Reste derart gemusterter Textilien im prähistorischen Bergwerk von Hallstatt gefunden. Durch die Bedingungen im Salzbergwerk sind bis zu 3.500 Jahre alte Gewebe extrem gut erhalten. Solche archäologischen Textilien stehen im Mittelpunkt eines Symposiums, das am Mittwoch in Hallstatt beginnt.

Zum Nordeuropäischen Symposium für archäologische Textilien (NESAT), das vom Naturhistorischen Museum (NHM) Wien organisiert wird, werden bis Samstag mehr als 200 Forscher erwartet. Üblicherweise bieten Textilien den Archäologen kein reiches Betätigungsfeld, sie bleiben nur selten über längere Zeiträume erhalten. Vor allem in unseren Breiten verrotten diese organischen Materialien rasch.

Gewebe nach Jahrtausenden fast wie neu

Nur unter besonderen Bedingungen, etwa durch Konservierung im Eis wie bei der Gletschermumie "Ötzi" oder in Mooren, können die Gewebe über Jahrtausende erhalten bleiben. Sie verändern sich dabei aber stark. Farben etwa sind kaum noch zu erkennen. Doch die besonderen Bedingungen im Salzbergwerk haben zahlreiche Textilien bis in heutige Zeit überdauern lassen - und zwar in hervorragender Qualität.

"Nirgendwo sonst in Europa sind Gewebe so gut erhalten", die Textil-Funde seien ein "wahrer Schatz", sagte Karina Grömer von der Prähistorischen Abteilung des NHM am Dienstag. Das Museum ist seit mehr als 50 Jahren für die Erforschung des prähistorischen, seit Tausenden Jahren bestehenden Bergwerks und der Siedlungsgeschichte am Hallstätter Salzberg verantwortlich, archäologisch gegraben wird dort bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts.

"Durch das Salz werden organische Materialien konserviert, die Textilien sind fast wie neu, die Farben nur etwas dumpfer", sagte Grömer. Seit 1849 wurden im Hallstätter Salzbergwerk mehr als 600 prähistorische Textilien entdeckt, die aus unterschiedlichen Gründen in die Stollen gelangt sind. Diese Gewebe wurden in der Zeit von 1.500 bis 300 vor unserer Zeitrechnung hergestellt und verwendet.

Prähistorische Recycling-Wirtschaft

Die Textil-Funde verdanken die Wissenschafter offenbar einer prähistorischen Recycling-Wirtschaft. Denn es wurden neben gröberen Stoffen, wahrscheinlich wollene Fördersäcke zum Transport des Salzes oder Bekleidungsreste, auch Teile von fein gearbeiteten und aufwendig verzierten Stoffen gefunden. Sie dürften schon als Lumpen und Fetzen in den Berg gebracht und dort für verschiedene Zwecke verwendet worden sein, etwa in Streifen gerissen und verknotet als behelfsmäßige Befestigung.

Die Wissenschafter gehen davon aus, dass es sich dabei einmal um Prunkgewänder oder zumindest "Sonntags-Gewand" gehandelt hat. Als eindeutiger Beweis, dass es sich tatsächlich um Kleidungsreste handelt, gilt für die Forscher, wenn sich Überreste von Kleiderläusen in den Stoffen finden.

Erstaunlich für die Wissenschafter ist die Qualität der gefundenen Stoffe. "Teilweise erkennt man nicht, dass es sich um urgeschichtliche Textilien handelt", sagte Grömer. Auch das Vorurteil, die Gewebe seien damals dunkel, dumpf und grob gewesen, stimme nicht. "Tatsächlich finden sich äußerst hochwertige Textilien", so die Expertin, die auch von einem "wahren Musterrausch" sprach, der ab 800 vor unserer Zeitrechung eingesetzt habe.

Herstellungstechniken noch heute in Verwendung

Dabei seien Techniken angewendet worden, die noch heute in Verwendung sind, die Herstellung von Loden etwa oder eine Webtechnik für Trachtenbänder. "Die Menschen damals wussten auch exakt, wie sie mit den Rohstoffen umgehen mussten und was das Material hergibt."

Gefunden wurden farbenprächtige Stoffe, gemustert mit Karos und Streifen, versehen mit Ziernähten und Brettchenweberei. Teilweise handelte es sich um feinstes Tuch mit nur 0,1 Millimeter dicken Fäden. Durch experimentelle Archäologie weiß man, dass für einen Quadratmeter eines solchen Stoffes etwa 9.000 Meter Faden gesponnen werden mussten, was drei bis vier Monate dauerte. Das Weben ging dann mit ein bis zwei Wochen vergleichsweise schnell. Entsprechende Wertschätzung gab es auch für die Textilien, unter den Funden gibt es aufwändig gestopfte und geflickte Stücke.

An Rohstoffen dominierte Wolle, ein wenig auch pflanzliche Fasern wie etwa Flachs. Anhand der verwendeten Wolle konnten die Wissenschafter auch die Entwicklung der Schafrassen verfolgen. Je älter die Textilien sind, desto dickere, borstigere Haare wurden verwendet, durch Züchtung kam im Laufe der Jahrhunderte immer weichere Unterwolle dazu. Zudem wurden gezielt weiße Schafe gezüchtet, deren Wolle sich färben ließ.

Vielfältige Farbenpracht

Die Wissenschafter haben auch herausgefunden, womit die Stoffe gefärbt wurden. Zehn verschiedene Farbstoffkomponenten wurden gefunden. Neben traditionellen lokalen pflanzlichen Mitteln wie Färberwaid oder Färberkamille wurde zur Überraschung der Forscher auch mit Insektenfarbstoffen gefärbt, etwa mittels dem von Schildläusen stammenden Kermes, der aus weit entfernten Gegenden importiert werden musste.

Im NHM sind derzeit die prähistorischen Schauräume für eine Neugestaltung bis ins Frühjahr 2015 geschlossen. Neben einem eigenen Saal für die berühmte "Venus von Willendorf" und einem eigenen "Gold-Kabinett" soll ein Schwerpunkt auf die Funde aus Hallstatt gelegt werden, für die ein eigener Saal zur Verfügung stehen wird. "Wir wollen die 7.000-jährige Geschichte Hallstatts und des Salzabbaus zeigen", sagte Kern. Unterstützt wird die Neugestaltung des Saals von den Salinen Austria, die auch schon seit Jahren die archäologischen Grabungen in Hallstatt mitfinanzieren.

Die aktuellen Forschungen am Hallstätter Salzberg werden auch heuer wieder bei der Veranstaltung "Archäologie am Berg" vorgestellt, die am 23. August stattfinden wird. (APA/red, derStandard.at, 20.05.2014)