Sieht noch viel (Überzeugungs-)Arbeit vor sich: Biopionier Werner Lampert.

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STANDARD: Früher war mehr oder weniger alles Bio. Dann kam die Industrie mit Dünger, Saatgut, Pflanzenschutzmitteln. Schlecht?

Lampert: Nur Gift und Kunstdünger wegzulassen ist nicht Bio. Bio ist ein aktives, alternatives Konzept, Landwirtschaft zu betreiben. Planlos dahinzuwirtschaften ist nicht Bio. Bio ist ein Gesundheitskonzept für Böden, Pflanzen, Tiere, Menschen und die ganze Welt.

STANDARD: Wie behalf man sich?

Lampert: Wie man es von der vorhergehenden Generation gelernt hatte, da steckte keine große Methode dahinter. Der Schritt zu Bio war ein ganz bewusster. Anfang des 20. Jahrhunderts hat es in Japan eine Bewegung gegeben, die sich erstmals mit biologischer Landwirtschaft beschäftigt hat. 1924 kam Rudolf Steiner, etwas später Müller und Rusch, die die biologisch-organische Landwirtschaft gegründet haben. Das war ein Schnitt und ein Neubeginn.

STANDARD: Die Industrie war also so schlecht nicht, hat es aber übertrieben in der einseitig auf Massenproduktion angelegten Strategie?

Lampert: Die Industrie war wichtig, die Erträge sind gestiegen, es hat Erntesicherheit gegeben.

STANDARD: Nicht zuletzt dank Ihres Einsatzes haben biologisch erzeugte Lebensmittel längst einen Fixplatz im Handel. Mission erfüllt?

Lampert: (lacht) Nein. Anfang der 1990er-Jahre hatte ich eine klare Vorstellung, wo wir in 20 Jahren sein würden. Es gab Umfragen, wonach 40 bis 50 Prozent an biologischer Landwirtschaft interessiert sind und ausschließlich Produkte aus biologischer Landwirtschaft kaufen wollten.

STANDARD: Tatsächlich liegt der Anteil biologisch erzeugter Lebensmittel in Österreich bei zehn Prozent, jeder Prozentpunkt mehr ist ungeheuer schwer. Warum?

Lampert: Bioprodukte werden über weite Strecken wie konventionelle verarbeitet, das schadet der Qualität. Zudem wird uns seit Jahrzehnten suggeriert, dass Lebensmittel nichts kosten. Österreicher geben acht bis zehn Prozent des Einkommens für Lebensmittel aus, Franzosen im Schnitt 24 Prozent. Biologische Lebensmittel sind teurer als konventionelle. Möglicherweise hat auch das den Erfolg etwas gemindert.

STANDARD: Die Weltbevölkerung nimmt weiter zu. Können all die Menschen realistischerweise ohne industriell erzeugte Lebensmittel ernährt werden?

Lampert: Der Weltagrarbericht sagt ganz klar, dass die Ernährung der Weltbevölkerung nur über die bäuerliche Landwirtschaft bewerkstelligt werden kann. Ein Hackbauer aus Afrika oder ein Kleinbauer aus Indien sind sechzigmal produktiver als ein industrialisierter Betrieb in puncto Energieeinsatz und Ausbeute. Das zeigen Untersuchungen. Die industrialisierte Landwirtschaft ist eine Totgeburt, hinterlässt Zerstörung und führt zu Katastrophen.

STANDARD: Wie das?

Lampert: Die Agroindustrie ist der größte CO2-Emittent, der größte Verbraucher von Süßwasser und der größte Vernichter der pflanzlichen und tierischen Vielfalt. Sie hinterlässt kaputte Böden und verschmutzt das Grundwasser. Die Ernährung der Zukunft wird ausschließlich von der bäuerlichen, regionalen Landwirtschaft bewerkstelligt werden können.

STANDARD: Erstmals wechseln wieder mehr Bauern zur konventionellen Landwirtschaft zurück. Wieso?

Lampert: Weil man höhere Erträge erzielen kann. Mir hat ein Bauer erzählt, dass es auf seinem Hof 20 Jahre gedauert hat, den Milchertrag pro Kuh von 4000 auf 6000 Kilogramm zu steigern. Mit den modernen Methoden - Protein, Mais-Silage, Propylenglycol (Produkt aus der Petroindustrie, das die Milchleistung erhöht, Anm.) - lässt sich der Ertrag in zwei Jahren von 6000 auf 8000 kg steigern. Das gibt's in der Biolandwirtschaft nicht. Wir wollen es auch nicht. Wir leben ja vom Tierwohl, wollen gesunde Viecher und gesunden Boden. An dem arbeiten wir und nicht an verrückten Ertragssteigerungen.

STANDARD: Mit steigendem Wohlstand wächst der Fleischhunger. Da wird's schwierig mit Bio, oder?

Lampert: Fleisch ist so oder so eine Sackgasse, aus der wir rausmüssen, sonst geht die Welt zugrunde. Fleisch wird ein Luxusgut werden, das man einmal in der Woche hat. In meiner Kindheit gab es sonntags einen Braten und aus.

STANDARD: Bei den Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen mit den USA geht es auch um Erleichterungen für Fleischimporte ...

Lampert: ... und um noch viel mehr. Die USA haben eine zu 100 Prozent industrialisierte Landwirtschaft, wir in Europa noch eine weitgehend bäuerliche. Dieses Handelsabkommen wäre eine Katastrophe, einige Landwirte in Gunstlagen könnten bei uns mithalten, viele andere würden zugrunde gehen. Auch für die Konsumenten wäre es ein Desaster.

STANDARD: Es gibt einen Trend zu regionalen Produkten, von daher scheint die Angst, mit Massenware überrollt zu werden, übertrieben?

Lampert: Wir müssen genau hinschauen, regional ist nicht immer regional. Ist das Fleisch regional, wenn das Futter aus Südamerika kommt und dort Katastrophen anrichtet? Ich meine nein. Wir müssen zusehen, dass die Versprechen, die wir den Konsumenten machen, eingehalten werden. Vertrauen ist schnell verspielt.

STANDARD: Bei jeder Krise geht der Anteil von Bio zurück. Wieso?

Lampert: Die Leute beginnen wieder, billig zu kaufen. Wir haben das 1998 gesehen. Von Österreich ist relativ viel Bioware nach England und Deutschland gegangen. Als im Herbst die Finanzkrise ausgebrochen ist, sind die Exporte schlagartig eingebrochen.

STANDARD: Ist Bio nur etwas für reiche Gesellschaften?

Lampert: Bio ist etwas für Menschen, die eine Haltung haben und bewusst leben.

STANDARD: Was kommt nach Bio?

Lampert: Ich weiß nicht, ob nach Bio noch etwas kommt. Es wird ein neues Leitbild der bäuerlichen Landwirtschaft geben, als Gegengewicht zur industrialisierten. Die wird transparent und offen sein. Die Bauern müssen verstehen, dass sie für Konsumenten arbeiten, die bereit sind, für gute Lebensmittel viel Geld auszugeben. Dafür wollen sie aber die Gewissheit, dass alles passt. (Günther Strobl, DER STANDARD, 19.5.2014)