Das Wort Troika kommt in Portugal gar nicht gut an. Das konnte Jean-Claude Juncker an diesem Wochenende sozusagen körpernah spüren. Der Wahlkampftross des Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten machte in Porto und Lissabon Station. Der langjährige Chef der Eurogruppe war ab 2010 einer der wichtigsten Krisenmanager bei der Gestaltung der Eurohilfen für Griechenland, Portugal, Irland und Zypern. Er war also auch am Zustandekommen jener Expertentruppe aus Kommission, Eurozentralbank und Internationalem Währungsfonds beteiligt, die auch den Portugiesen riesige Hilfskredite (78 Milliarden Euro) zu günstigen Zinsen nur im Gegenzug mit harten Strukturreformen des Staates, mehreren Sparprogrammen gewährte.

Juncker wagte sich also im EU-Wahlkampf (so wie übrigens sein wichtigster Konkurrent um das Amt, der Sozialdemokrat Martin Schulz, auch) sozusagen in die Höhle des Löwen. Der Frust der Portugiesen über die große Arbeitslosigkeit ist groß. Erstaunlicherweise wurde der mögliche nächste Kommissionspräsident ohne große Proteste empfangen. Bei einem Auftritt vor 1000 konservativen Parteianhängern wurde "Mr. Euro" richtiggehend gefeiert. Immer wieder würde die Europahymne eingespielt, während die portugiesischen Wahlkämpfer um EU-Parlamentsmandate ihre Slogans unter die Leute brachten.

Von Europahass keine Spur also. Das mag zwei Hauptgründe haben. Zum einen spüren die Leute ganz genau, dass sie ohne die Hilfen der EU-Partner den Staatsbankrott erlebt hätten, der die soziale Lage vor allem der "kleinen Leute" noch viel schlimmer gemacht hätte. Zum anderen scheint es durchaus so zu sein, dass Politiker auch dann gar nicht so schlecht ankommen, wenn sie den Leuten die Wahrheit sagen und auch unangenehme Botschaften nicht verschweigen. Das tat einer der beiden wahrscheinlichen Kommissionspräsidenten in Portugal gleich serienweise in Interviews. Die Krise sei noch nicht vorbei, die Bürger und die Regierungen in Europa müssten weiter eng und hart daran arbeiten, um einen Ausweg aus der Misere zu finden, sagte er wieder und wieder bei den Interviews.

Möglich ist das offenbar, ohne gleich Entrüstung auszulösen, weil Juncker dazu den zweiten entscheidenden Zusatz anbrachte: Die EU-Länder untereinander wie die Bürger in den jeweiligen Ländern müssten sich solidarisch zeigen, den Schwächeren helfen – unabdingbar. "Ohne den Süden würde die Europäische Union ihre Seele verlieren", sagte Juncker in seiner nächtlichen Rede in Porto, und bei diesem Satz brauste der stärkste Applaus auf. Die meisten Portugiesen wissen offenbar, dass der Luxemburger als "sozialer Christdemokrat" stets darauf drängte, Portugal (oder Griechenland) nicht fallenzulassen und aus dem Euro zu drängen, wie viele das vor ein paar Jahren tun wollten.

Der Respekt für ihn hat dem Wahlkämpfer sichtlich gutgetan. "Es war ihm sehr wichtig, gerade jetzt nach Portugal zu fahren", sagt einer aus dem Wahlkampfteam. Dies sei programmatisch für seine mögliche Arbeit als Kommissionspräsident zu verstehen: zusammenhalten, niemanden fallenlassen, in die Länder und zu den Bürgern fahren. Für die Portugiesen war am Samstag so etwas wie ein Feiertag. Portugal hat das Hilfsprogramm von EU und IWF verlassen, will sich wieder selber auf den Finanzmärkten finanzieren, die Troika und ihre Auflagen haben ausgedient. "Es ist so, wie wenn eine Okkupation endet", sagt einer. Gut wenn ein möglicher Kommissionspräsident so etwas von den Bürgern direkt hört. (Thomay Mayer, derStandard.at, 18.5.2014)