Annie Sprinkle und Beth Stephens finden Dreck sexy - und haben ihn geheiratet.

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In ihrer Performance umarmen die Künstlerinnen symbolisch die Welt.

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Schmutz, Erde, Boden - so übersetzt man das englische Wort "Soil" ins Deutsche. Man mag vieles damit assoziieren, die Hochzeitsglocken hört dabei aber wohl kaum jemand klingeln. Die US-amerikanische Pornodarstellerin, Performance-Künstlerin und Feministin Annie Sprinkle und ihre Partnerin, Universitätsprofessorin Elisabeth Stephens, tun das wohl. Sie finden Dreck sexy - und haben ihn geheiratet.

Beim heurigen Donaufestival in Krems gaben sie während der Performance "Marry the Soil. A Dirty Ecosexual Wedding" der Erde das Ja-Wort, so wie sie es zuvor schon mit Bäumen, Seen, Flüssen, dem Himmel oder Kohle getan hatten. Mit 30 freiwilligen (und unbezahlten) PerformerInnen, darunter die kanadische Musikerin Peaches und der Performer Keith Hennessy, schritten die beiden im Kremser Kloster vor den Altar, im Publikum allerlei ökologisch-festlich aufgehübschte Hochzeitsgäste. Anschließend fand im Garten des Klangraums der Minoritenkirche der Empfang statt - und natürlich die "Hochzeitsnacht", während derer sich Annie und Beth in einem Bett aus Erde wälzten.

Umwertung aller Werte

Alle Versatzstücke der gesellschaftlichen Konvention namens Eheschließung waren vorhanden: ein sakraler Ort, feierlich gekleidete Gäste, die Phrasen von "Ich verspreche, Dich zu lieben und zu ehren…" bis zu "Sie dürfen die Braut jetzt küssen", die rituelle Entjungferung. Und doch ist, was Sprinkle und Stephens in ihrer mehrstündigen Performance machen, die Umwertung aller Werte.

Dabei geht es nicht nur um die heteronormativen Übereinkünfte einer konservativ-christlichen Ordnung, die durch die teilnehmenden LGBT- und Queer-AktivistInnen aufgebrochen respektive in Frage gestellt werden. Es geht vor allem um das Bild, das wir uns von unserer Umwelt machen. Aus der Mutter Erde, von der die gesamte Kulturgeschichte von der antiken Mythologie bis heute fabuliert, wird hier eine Geliebte. Und das ändert so einiges.

Annie Sprinkle und Beth Stephens bezeichnen sich selbst als ecosexual. Ökosexualität – das ist für Beth Stephens eine politische Strategie. Während sie sich in einem Raum des Klosters auf ihre Hochzeit vorbereiten und Annie Sprinkle sich schminkt ("Ich wünschte, ich hätte braunen Eyeliner!") und bisweilen einwirft, dass sie nicht immer derselben Meinung wie ihre Partnerin ist ("Ich glaube nicht, dass das wahr ist"), erzählt Stephens über ihr Konzept der Ökosexualität und den Film "Goodbye Gauley Mountain. An ecosexual Love Story", den sie jüngst fertiggestellt haben.

Eine Lobby für den Umweltschutz

Bei ihrer Arbeit, so erzählt Stephens, ginge es nicht darum, Schuldige zu suchen oder "allen zu erzählen, wie schrecklich alles ist." Stattdessen will sie Raum für Hoffnung aufmachen. Und vor allem dem Umweltschutz zu einer größeren Lobby verhelfen: "Das Thema ist immer ein bisschen langweilig und sperrig, nicht sehr attraktiv. Wir bringen Sex auf den Tisch, wir sprechen darüber, wie aufregend die Erde sein kann. Ökosexualität macht die Erde zu einer LiebhaberIn - anstatt von ihr als Mutter zu sprechen", sagt Beth Stephens.

"Mama ist es müde, unsere Wäsche zu waschen und hinter uns herzuräumen. Sie hat das Billionen von Jahren getan.“ Wobei, das fügt Stephen laut denkend hinzu: Die Erde könnte ja auch transsexuell sein. Wer weiß das schon so genau.

Natur oder Kultur?

Wichtig ist Sprinkle und Stephens in erster Linie das Aufbrechen einer fragwürdigen Hierarchie. Das finge ganz simpel bei der Sprache an, meint Stephens, und dabei, wie wir davon sprächen, der Mensch müsse sich um die Erde kümmern, auf sie aufpassen. Das erwecke den Eindruck, die Erde sei dem Menschen dienstbar ("Macht euch die Erde untertan", wie es in der Bibel-Übersetzung heißt). "Wir denken vom Menschen eher als einem Organismus unter vielen anderen. Wir sind nicht besser oder schlechter, wir sind einfach ein weiterer Organismus."

Denn, fährt sie fort: "Wenn wir glauben, wir wären besser, wo würde das aufhören? Sind wir besser, weil wir weiß sind? Weil wir westlich sind? Es gibt diese ganze Aufteilung in Natur und Kultur. Aber was ist Natur, und was ist Kultur? Woran entscheidet sich, ob jemand oder etwas leben darf oder sterben muss? Wir wollen eine Beziehung mit der Erde, die auf Gegenseitigkeit, auf Beidseitigkeit beruht." Das kann naturgemäß nur funktionieren, wenn das Denken ohne Hierarchien auskommt, der Mensch also weder als über der Natur stehend noch ihr unterlegen gedacht wird - sondern als Teil von ihr.

Liebe statt Nutzen

Dementsprechend freut sich Annie Sprinkle sehr darüber, dass sie nach der Performance Mails erhielt, in denen gefragt wurde, ob die Erde denn auch einverstanden gewesen sei mit der Hochzeit, es also eine einvernehmliche, nicht arrangierte Ehe gewesen wäre. "Wenn die Menschen darüber nachdenken, wie sich die Erde fühlen mag und was sie sagen würde, könnte sie sprechen, dann ist das einfach großartig." Schließlich sei das eines der Ziele ihrer Performance: die Menschen dazu zu bringen, die Natur mehr zu lieben. Sprinkle ist auch begeistert davon, wie zum großen Teil völlig Fremde unbezahlt und engagiert ihren Teil zur Hochzeit beitrugen. Sie schwärmt von der Großzügigkeit und der Liebe, die sie von diesen Menschen empfangen hätte.

"Lieben", das steht hier - sowohl gegenüber Menschen als auch der Natur - vor allem für einen Gegensatz zu "benutzen". Denn, wie Stephens sagt: "Uns wurde beigebracht, dass die Erde eine Ressource ist - eine Ressource, um Wohlstand zu generieren. Kapitalismus lehrt uns, dass Gier gut ist. Aber Gier ist nicht gut." Auch in ihrem Film haben sie sich mit dieser Problematik befasst. Er handelt von der Gegend, in der Stephens aufwuchs, der Gegend des Gauley Mountain in West Virginia.

Die Liebe zu den Bergen

Sie wollen aufmerksam machen auf die Verwüstung des Berges durch die Bergbauindustrie. Das Leben in dieser Gegend sei hart, erzählt Stephens, die Menschen seien arm, altmodisch und "in vielerlei Hinsicht keine FeministInnen." Aber: "Sie lieben die Berge und wir lieben sie - und vor diesem Hintergrund sind unsere Differenzen kein so großes Thema mehr. Denn wir alle lieben diese Berge."

So geht es in diesem Film wie in ihren Performances am Ende auch immer, ganz banal, um das Schöne im Schrecklichen. Um den zwischenmenschlichen Zusammenhalt, die Liebe, die doch immer da sind. Und es geht um das Leben. Wie Stephens dazu sagt: "Selbst, wenn es zur schlimmsten Umweltkrise kommt: Wieso hoffnungslos sein? Es könnte sehr aufregend werden. Ich fand die Apokalypse immer irre spannend und aufregend - es ist der beste Text in der Bibel. Es gibt dort keine Schuld. Es bricht einfach die Hölle los", sagt sie und lacht.

"Das ist natürlich schrecklich, weil Menschen sterben. Aber wir sterben ohnehin. Darum unsere Hochzeit mit der Erde - um uns darauf vorzubereiten. Außerdem wächst aus Erde neues Leben. Es ist immer ein Kreislauf: Leben, Sex, Arbeit, Tod, Leben, Sex, Arbeit, Tod, ... It’s fucking great!" (Andrea Heinz, dieStandard.at, 6.5.2014)