Für Gabriella Hauch ist die Frauen- und Geschlechterforschung eine "heiße Wissenschaft": Sie regt auf. Ihren Studierenden empfiehlt die Historikerin daher, die eigene Position als Forschende zu reflektieren, um Distanz zu schaffen.

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STANDARD: Sie haben sich mit der Geschichte von Frauen in Umbruchzeiten beschäftigt - etwa zur Zeit der Revolution 1848. Bedeuten solchen Phasen für Frauen eher Chancen oder eher Rückschritte?

Hauch: 1848 ergaben sich große Chancen, für Frauen und für Männer. Zum ersten Mal haben bürgerliche Freiheiten geherrscht: Versammlungsfreiheit, Vereinsfreiheit und vor allem auch Pressefreiheit. In Wien hatten wir von März bis Ende Oktober 1848 quasi ein offenes Fenster: Es gibt eine Vielzahl von Äußerungen in Flugschriften oder Zeitungsartikeln, und nach jahrzehntelanger Zensur und Metternich'schem Polizeisystem konnte man plötzlich nachvollziehen, wozu sich die Menschen äußerten. Wir haben aus dieser Phase des 19. Jahrhunderts eine Fülle von Quellen und sehen, inwieweit die Losungen der bürgerlichen Gesellschaft - Freiheit, Gleichheit und auch Brüderlichkeit - angesichts der realen Differenzen zwischen den Menschen Widersprüche produzierten.

STANDARD: Welche Differenzen waren das?

Hauch: Differenzen entlang der sozialen Schichten, der Nationalitäten und der Ethnizitäten, aber auch Differenzen zwischen den Geschlechtern. Die sogenannte nationale Frage entstand, die soziale Frage, aber auch die Frage der Gleichstellung der Konfessionen oder die Frauenfrage. Damals kam es in Wien zur ersten Gründung eines Frauenvereins, der nicht an den nationalen Grenzen endete, Frauen aller Stände einschloss und der sich explizit als politisch verstand. 1848 tauchten aber auch zahlreiche Forderungen auf, wie nach dem Wahlrecht für Frauen, nach einem Universitätsstudium oder nach dem Recht für Frauen, abends allein ins Kaffeehaus gehen zu können, ohne angepöbelt zu werden.

STANDARD: Wann schloss sich dieses Fenster zusehends?

Hauch: Es gab einen herben Rückschlag mit der Phase des Neoabsolutismus und mit der Verabschiedung des ersten Vereinsrechts, das Frauen verbot, sich allein oder gemeinsam mit Männern politisch zu organisieren. Dieser Paragraf 30 bleibt bis 1918. Politische Frauenvereine mussten sich tarnen, etwa als Bildungsvereine. Das heißt, Brüche in der gesellschaftspolitischen Entwicklung machen zwar Fenster auf, diese können sich aber auch ganz schnell wieder schließen.

STANDARD: Heuer jährt sich der Beginn des Ersten Weltkrieges zum 100. Mal. Welche politische Rolle spielten Frauen vor 1914?

Hauch: Eine wichtige. Von den Unterbrechungen durch den Ständestaat 1933/34 bis 1938 und während des Nationalsozialismus abgesehen, gibt es seit 1890 Frauenorganisationen verschiedener weltanschaulicher Richtungen: von bürgerlich-liberalen Frauen über den radikalen Flügel zu den gemäßigten, den Katholikinnen bis hin zu den Sozialdemokratinnen. Sie und die bürgerlichen Frauen haben etwa um das Staatsbürgertum und das Wahlrecht für Frauen gekämpft. Um 1918 hat es auch bei den Christlichsozialen in dieser Frage ein Umdenken gegeben, weil ihnen ihre weibliche, katholische Wählerinnen-Klientel vom Land eingefallen ist. Ein Großteil der Frauen hat in der Ersten und auch weit in die Zweite Republik hinein tatsächlich konservativ gewählt - bis zur Kandidatur von Bruno Kreisky und den damit verbundenen Reformprogrammen im Familien- und Strafrecht.

STANDARD: Warum stehen sozialdemokratische Parteien oder links stehende politische Gruppierungen heute dem Feminismus näher?

Hauch: Das Nachdenken darüber, wie man zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft kommt, war lange Zeit von zwei großen Strängen dominiert: dem Gleichheitsansatz und dem Differenzansatz. Letzterer knüpft an die am Beginn der bürgerlichen Modere konstruierten männlichen und weiblichen Geschlechtscharaktere an, bei denen die Gebärfähigkeit von Frauen ganz zentral wurde. Das führte zu der Vorstellung einer sich gegenseitig ergänzenden - heterosexuellen - Komplementarität der Geschlechter, die aber nicht mit Wertungen oder Hierarchien verbunden sein sollte. Die Katholikinnen haben für Frauen im Parlament etwa so argumentiert, dass sie dem Kriegerischen der Männer mit der sanften Weiblichkeit etwas Substanzielles entgegenzusetzen hätten, was sehr wichtig für die Gesellschaft sei. Sogenannte linke Parteien verstanden sich hingegen der Aufklärung und dem Gleichheitsgrundsatz verpflichtet: Der Mensch ist frei und gleich geboren. Aber natürlich lässt sich das nicht so genau abgrenzen, so haben auch Sozialdemokratinnen mit dem Differenzansatz argumentiert. Zum Beispiel: Frauen sind potenzielle Mütter, und deshalb soll für sie ein Nachtarbeitsverbot gelten.

STANDARD: Gleichberechtigung ist ein politisches Ziel. Wie hat man in der Wissenschaft mit einem Forschungsgegenstand umzugehen, der sehr politisch ist?

Hauch: Es ist für jede Forschung wichtig, offen mit den darin wirkenden Interessen umzugehen, denn es kommt immer auf die Fragestellungen an, was, wie und warum zum Gegenstand von Forschung wird. Daher ist es wichtig, den Entstehungskontext der Quellen, die man heranzieht, zu kennen. Die Frauen- und Geschlechtergeschichte ist, wie auch etwa die Zeitgeschichte mit ihrer Aufarbeitung des Nationalsozialismus, eine sogenannte "heiße Wissenschaft" - sie bewegt und erregt. Die Studierenden sollen lernen, ihre eigene Position als Forschende zu reflektieren, denn Frauen- und Geschlechtergeschichte ist eine selbstreflexive Wissenschaft. Sobald ich meine Involviertheit in den Forschungsgegenstand erkenne, erzeuge ich eine gewisse Distanz zwischen mir und dem Untersuchungsgegenstand.

STANDARD: Welche Zeit war für die Gleichberechtigung von Frauen die wichtigste Epoche?

Hauch: Das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts. Die Aufhebung des patriarchalen Familienrechts war ganz zentral, in Österreich war das 1975. Auch die Bildungsoffensive seit den 1970er-Jahren, die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und die vielen Gleichstellungsgesetze. Viele Studierende können sich heute nicht mehr vorstellen, dass vor 1975 Frauen die Erlaubnis des Ehemannes brauchten, um arbeiten zu gehen, oder seine Unterschrift für einen Pass benötigten. Gesetze, die etwa 150 Jahre den Mann als Familienoberhaupt festschrieben, hinterlassen Spuren. Diese wirken und beeinflussen unsere Mentalität nachhaltig. Aber trotzdem - es hat sich ein Selbstbewusstsein von Frauen entwickelt, das es vorher nicht gegeben hat - und ein Bewusstsein für das Recht auf Geschlechtergerechtigkeit. (Beate Hausbichler, DER STANDARD, 23.4.2014)