Ein Box-Trainingscenter als Schattenwelt für einen zeitgenössischen Film noir: Hilary Swank und Clint Eastwood in "Million Dollar Baby", vierfach und nicht zuletzt als bester Film ausgezeichnet bei der diesjährigen Oscar-Gala.

Foto: Filmladen/Lunafilm

Völlig zu Recht wurde Clint Eastwoods "Million Dollar Baby" – eine Art tragischer "My Fair Lady" im Boxermilieu – mit vier Oscars ausgezeichnet. Trotzdem: Einige Fragen zum neuesten, gewohnt konzentrierten Werk des Altmeisters wären schon zu stellen.

Wien – "Wart's nur ab, Henry Higgins / wart's nur ab / deine Tränen werden fließen, nicht zu knapp..." Schon das Musical My Fair Lady, basierend auf G. B. Shaws Pygmalion, wusste davon zu erzählen: Die Wonne und die Befriedigung, sich ein prachtvoll reüssierendes Geschöpf heranzuerziehen – damit läuft man leicht Gefahr, sehr einsam und lächerlich zurückzubleiben.

Anders als Pygmalion, doch mit einer ähnlichen Ausgangsposition ist Million Dollar Baby aber keine Komödie. Wie denn auch bei Clint Eastwood und seinem Image: Sein neuester Film, seine mittlerweile 25. Regiearbeit, steuert von einem in Film-noir-Schwarz-Weiß getönten Studio-Logo weg also recht unerbittlich in Richtung melodramatischer Tragödie. Ein Boxerfilm, der von Beginn an davon erzählt, dass manche Wunden zu tief gehen, und dass man seine Deckung möglichst nie aufgeben sollte – der kann nicht gut ausgehen.

Wie, das sei hier im Interesse der Kinogeher nicht verraten. Evidenterweise wollte sich – so viel stand schon überall zu lesen – Eastwood eine Sterbehilfedebatte im Gefolge des Falls Terri Schiavo sparen. Und tatsächlich hat Million Dollar Baby ja weniger mit einem selbstbestimmten Tod als vielmehr mit Zwängen (und Zwanghaftigkeiten) zu tun, die – wie die relativ engen Rahmen eines Filmbildes oder einer relativ schlichten Genreerzählung – doch auch wieder große Freiheiten einräumen.

Einen besonders sorgfältigen Blick auf handwerkliche Details etwa. Sowohl in der Rolle des Boxtrainers Frankie Dunn wie auch als Regisseur beschränkt sich Eastwood einmal mehr auf unaufwändige Präzision. Es sind kostbare Entsprechungen von Inszenierung und Handlung, wenn Frankie etwa seiner Elevin Maggie (Hilary Swank) Sinn und Funktion von Körperhaltungen erklärt, in karger Ausleuchtung und einem Raumton, der die Sichtung der Originalfassung nahe legt.

Dazu noch Morgan Freeman, wie Swank mit einem von insgesamt vier Oscars, die Million Dollar Baby heuer erhielt, prämiert: Als Off-Erzähler wie als halbblinder Exboxer und als Hausmeister von Frankies Trainingscenter entwickelt er allein über Haltung, Stimme und perfekt geschriebene Dialoge eine Präsenz, deretwegen man ihm stundenlang zusehen möchte. Setzen Sie diesen Mann mit löchrigen Socken an einen schäbigen Schreibtisch: Der Glanz und das Elend eines Spieler- und Sportlerlebens tun sich auf.

Kehren wir aber zurück zu Pygmalion: In einer weiteren Parallele erzählt auch Million Dollar Baby eigentlich eine Dreiecksgeschichte.

"Vater" und "Tochter"

Hier der Lehrer/Trainer, der Ersatzvater als potenzieller Liebhaber – was auch in Million Dollar Baby einen manchmal befremdlich inzestuösen Touch bekommt, nicht zuletzt, weil Frankie sich immer noch mit dem Kummer über eine "verlorene" Tochter herumschlägt. Da das Mädchen aus der Unterschicht, etwas vulgär, Underdog und "Freak", aber kämpferisch. Und drittens ein "Zeuge", hier Morgan Freeman, der mit wechselnder Sympathie für diese beiden miteinander Ringenden und einander Findenden durchaus anerkennend zur Kenntnis nimmt, wie das "Geschöpf" seinem "Schöpfer" die Schneid abkauft.

Es nimmt Wunder, dass Eastwoods Film unter diesem Aspekt kaum jemals besprochen und fast ausschließlich als souveränes Boxerdrama wahrgenommen wird. Und es verwundert erst recht, weil sich gerade in diesem Konflikt zwischen "Vater" und "Tochter", "Schöpfer" und "Geschöpf" exakt jener Narzissmus erneut auftut, den man bei Eastwood in seinen frühen Dirty-Harry-Tagen gerne als "reaktionär" abtat – ebenso salopp und simpel übrigens, wie man ihn heute als "altmodischen" Minimalisten preist. Beide Einschätzungen sind insofern halbrichtig, als sie einen neurotischen Aspekt ausblenden, von dem ausgehend man Clint Eastwood nicht nur als Vielarbeiter und Auteur gleichrangig neben Woody Allen stellen könnte.

A man's gotta do...

"Ein Mann tut, was er tun muss", lautete der alte Dirty-Harry-Spruch. Immer im Wissen um den Widerspruch, dass der Einzelgänger, der da von dem, was er tun muss, getrieben wird, alles selbst bestimmen will. In Eastwoods Meisterwerk Unforgiven zeitigte dieser Zwiespalt eine archaische Tragödie. Hier, in Million Dollar Baby, gewinnt er eher wieder eine irritierende Selbstverständlichkeit.

Der Film beginnt sehr bald mit einer Szene, in der Frankie, der Trainer, von einem Boxer, der einen effizienteren Manager findet, "verraten" und verlassen wird – ein klassisches Film-noir-Sujet, das Million Dollar Baby aber eher inkonsequent verfolgt. Mit Maggie wird bald klar, dass sie Frankie nie verraten wird. Sie strotzt vor Lebensgier, aber in Karrierefragen bleibt sie integer. Sie wird ihren "Boss" nicht hintergehen, unterwirft sich seinen Anweisungen, auch wenn irgendwann einmal eher schnoddrig vermerkt wird, dass ohnehin immer alles nach ihrem Sturschädel gelaufen sei.

Wart's nur ab, Frankie Dunn, wart's nur ab: Wenn am Ende von Million Dollar Baby unüblich Eastwoods Tränen fließen, dann immer noch mit Morgan Freemans freundschaftlicher Bestätigung: Du hast sie zu dem gemacht, was sie ist. Dir ist nichts vorzuwerfen. Und da wäre angesichts dieses schon sehr wunderbaren Films doch zumindest die Frage: Was, wenn Maggie ihren "Schöpfer" doch irgendwann im Regen stehen gelassen hätte – für mehr Geld, Ruhm, den ganz großen Titel? Wir behaupten: Es wäre ein noch finsterer, unerbittlicherer Film noir geworden.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.4.2005)