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"Wir sind Helden" lösten mit ihrem sympathischen Debüt "Die Reklamation" aus 2003 eine neue Deutschpop-Welle aus. Der Nachfolger "Von hier an blind" allerdings bietet Anlass zur Sorge.


Der erste Vergleich, der sich aufdrängt: Die heimische Teenager- Superheldin Christl Stürmer ist bei ihrem näselnden Piefkinesengesang endlich den österreichischen Restakzent losgeworden. Dabei handelt es sich bei Wenn es passiert, dem durchaus im schlageresken Sinn der guten deutschen Popmutter Nena gehaltenen Eröffnungssong dieser im sympathischen Cartoon-Stil von Tim & Struppi gestalteten CD um das erste künstlerische Lebenszeichen der Berliner Durchstarter Wir sind Helden seit 2003. Damals sorgten Judith Holofernes, Pola Roy, Mark Tavassol und Jean-Michel Topurette mit ihrem Albumdebüt Die Reklamation und den Hitsingles Die Reklamation, Denkmal und Müssen Nur Wollen für so etwas wie eine Wiederbelebung des darniederliegenden Deutsch-Pop der intelligenteren und unpeinlichen Ausformung. Vielleicht das erste Mal seit den seligen Ideal aus den frühen 80er-Jahren (Ich steh' auf Berlin!, Deine blaue Augen ...) wurde hier auf massentauglicher Basis Musik geschaffen, die unbeschwert und unverkrampft auf hohem Niveau nicht mehr wollte, als eben Pop zu sein und das so genannte Zeitgefühl in jeweils drei Minuten zu verdichten, ohne dafür im CD-Booklet die neue Frankfurter oder neue Hamburger Schule zitieren zu müssen.

Allerdings tauchten in der Nachfolge bald auch ungustiöse Quotendiskussionen bezüglich deutschsprachiger Popmusik im Radio und unnötige Nationalismus- und Patriotismusdebatten im Feuilleton auf. Von wegen: Ich bin dolz Steutscher zu sein. Dafür kann man zwar nicht Wir sind Helden verantwortlich machen. Dumpfere und unbedarftere Kollegen und Nachahmer wie Silbermond, Juli oder Mia und im laufenden Jahr laut Ankündigungen diverser großer, deutscher Plattenfirmen schwerpunktmäßig noch eine ganze Einkaufstasche neuester Newcomer mehr sorgen in diesem Zusammenhang schon eher für schlechte, weil gute Stimmung. Immerhin verkaufte Die Reklamation im deutschen Raum sensationelle 500.000 Stück. Darauf muss der Markt mit allen problematischen Begleiterscheinungen notgedrungen reagieren.

Wie jetzt Wir sind Helden mit den 13 neuen Liedern auf Von hier an blind mehr als nachdrücklich unter Beweis stellen, ist aus einer anfangs im Alternativsektor hoch geschätzten und am Anfang ihrer Karriere rein über Mundpropaganda und das Internet bekannt gewordenen Band ein Mainstream-Act reinster Güteklasse geworden. Wo bei der Reklamation noch eine gewisse Form von Widerstand und Aufsässigkeit zu verzeichnen war, die mit leichter Hand in fröhlich-freche Gassenhauer gebettet wurden, regiert nun ein Wohlfühlfaktor, der nicht nur zur aktuellen Single Gekommen um zu bleiben und seiner heiteren Mischung aus Swing und Ska und einer mit dem Holzhammer von Jürgen von der Lippe gehauenen Lyrik führt, die auf die heute gern gepflogene englisch-deutsche Mischsprache unserer jungen Leute hinweist: "Ihr sagt: The höher they come the blöder they fall. So verdammt emporgekommen und immer noch standing tall. Ihr sagt: Was so abgeht muss doch bitte come down. Ich sag den Untergang ab ohne runter zu schauen."

Die Poesiealbumlyrik in einem länglich betitelten Song wie Ich werde mein Leben lang üben, dich so zu lieben, wie ich dich lieben will, wenn du gehst zielt heute auf jeden Fall Richtung in die Jahre gekommener Fans von Christl Stürmer. Judith Holofernes singt zwar immer noch zuckersüß ihre in Restelementen sogar noch giftige Altmädchenlyrik, etwa im Fernsehluder-kritischen und beim Hören etwas Aua machenden Protestsong Zieh dir was an: "Wenn du mit zwanzig deinen Hintern entdeckst, und ihn fortan in jede Kamera streckst, dann passt dein neues Selbstgefühl perfekt in jedes Marketingkalkül."

Man wird auch angesichts der im Gegensatz zur Reklamation beängstigend oft im gemächlichen Midtempo gehaltenen Lalelu-Balladen aber den Verdacht nicht los, dass hier jemand sein Pulver vorzeitig verschossen haben könnte. Für seine erste Platte hat man sein Leben lang Zeit, für die zweite nur ein Jahr. So ist es. Und so bleibt es. Schade. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.4.2005)