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EU-Ratspräsident Juncker weist den Weg: Die Dienstleistungsrichtlinie darf nicht zu Sozialdumping führen.

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Frits Bolkestein will nicht als Sinnbild für bösen Neoliberalismus herhalten. Daher wehrt sich der Ex-EU-Kommissar dagegen, dass die von ihm ersonnene Dienstleistungsrichtlinie als Bolkestein-Attacke - oder gar als Frankenstein- Richtlinie verunglimpft wird.

Die Bolkestein-Richtlinie, die die Liberalisierung des Dienstleistungssektors vorsah, ist aber Geschichte. Die Staatschefs haben auf dem EU-Gipfel eine "wesentliche Überarbeitung" der Dienstleistungsrichtlinie beschlossen.

Eigentlich hatte die EU-Kommission in sie große Hoffnungen gesetzt. Sie sollte ein Kernelement der Lissabon- Strategie sein und 600.000 neue Jobs schaffen. Allerdings hat die Kommission den Widerstand gegen die Richtlinie unterschätzt, der dann am EU- Gipfel eskaliert ist.

"Neuer Kommunismus"

Frankreichs Jacques Chirac machte den Anfang: "Ultraliberalismus ist der neue Kommunismus." Chirac fürchtet den negativen Ausgang des Verfassungsreferendums. Unterstützt wurde er vor allem von Schweden, Deutschland und Luxemburg, dezidiert für die Richtlinie war nur Großbritannien.

Der Schluss von EU-Ratsvorsitzender Jean-Claude Juncker: "Die jetzige Richtlinie genügt den Anforderungen nicht, das Europäische Sozialmodell zu erhalten." Also wird die Richtlinie "massiv überarbeitet".

Frage Herkunftsland

Die EU-Kommission darf ihr Gesicht nur insofern wahren, als die Richtlinie nicht formell zurückgezogen wird. Allerdings werden wichtige Inhalte geändert: So soll es Ausnahmen von der großen Dienstleistungsfreiheit bei öffentlichen Diensten geben, etwa im Gesundheitssektor.

Auch bei Wasserver- und entsorgung soll es keine Öffnung für den Wettbewerb geben. Details gab es Mittwoch nicht - die Überarbeitung soll ein Jahr dauern. Wörtlich hielten die Staatschefs in ihren Schlussfolgerungen vage fest: "Zur Förderung von Wachstum und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit muss der Binnenmarkt für Dienstleistungen in vollem Umfang funktionieren, wobei zugleich das europäische Sozialmodell zu wahren ist." Kommission, EU-Parlament und Ministerrat müssen das nun in eine Form bringen.

Herkunftslandprinzip noch offen

Ob mit der Überarbeitung auch der umstrittenste Teil der Dienstleistungsrichtlinie fällt - das Herkunftslandprinzip -, dieser Frage wichen am Mittwoch alle aus. Es sind vor allem die Gewerkschaften in Westeuropa, die die Gefahr der Aushöhlung von sozialen Bestimmungen an die Wand malen, wenn das Herkunftslandprinzip kommt.

Demnach würde für einen Elektriker oder Installateur aus der Slowakei oder Tschechien, der in Österreich Dienste anbietet, nicht österreichisches Recht gelten, sondern eben tschechisches oder slowakisches.

Ängste in Österreich

Österreich steht im Vergleich zu anderen Ländern insofern relativ gut da, als es hier zu Lande flächendeckende Kollektivverträge (KVs) gibt, an die sich Dienstleistungsanbieter aus dem Ausland halten müssten. In Deutschland aber gibt es keinen Flächen-KV, und die Vorgängerregelung Entsenderichtlinie gilt nur für den Bau und das dortige Baunebengewerbe.

Alle anderen Bereiche sind davon ausgenommen. In Skandinavien, wo es ebenfalls keine Flächen-KVs gibt, schließen die Gewerkschaften mit einzelnen Betrieben Verträge ab. Wenn nun ein Unternehmen aus einem anderen EU-Staat seine Dienste etwa in Schweden anbieten will, kann es gemäß dem Richtlinienentwurf nicht gezwungen werden, einen Vertreter in dem Land zu benennen. Damit würde der Gewerkschaft aber ein Ansprechpartner fehlen, mit dem sie einen KV abschließen könnte.

Kontrolle im Herkunftsland

Dem Flächen-KV wäre auch ein Unternehmen aus Bratislava unterworfen, wenn es seine Dienste in Wien anböte. Das Problem laut Gewerkschaften ist aber, dass nach derzeitigen Plänen nur die Behörde des Heimatlandes befugt ist, die Einhaltung von Bestimmungen im Zielland zu überprüfen.

Die Arbeiterkammer bringt das Problem so auf den Punkt: "Aber welches Interesse sollte eine Behörde beispielsweise in der Slowakei haben, in Österreich nach dem Rechten zu sehen?" (Eva Linsinger, Günther Strobl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.03.2005)