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Elfriede Awadalla organisiert gemeinsam mit Traude Korosa seit 2002 die Widerstandslesungen am Wiener Ballhausplatz. In eigenen Texten und Beiträgen schreibt sie gegen schwarz-blaue Ungrechtigkeiten, Sozialabbau und restriktive Budgetpolitik an. Awadalla ist als Präsidentin der Österreichischen DialektdichterInnen (Ö.D.I) auch für deren Zeitung Morgenstern verantwortlich und bezeichnet sich als Heimat- und Bierdeckeldichterin.

derStandard.at: Fühlen Sie sich als Mitorganisatorin der Widerstandslesungen als Teil der "Zivilgesellschaft" und was bedeutet der Begriff für Sie?

El Awadalla: Ich werde wohl als Teil dieser Zivilgesellschaft wahrgenommen, die ja (auch) als die Summe von privat initiierten politischen Initiativen definiert wird. Den Begriff an sich halte ich aber für nicht unproblematisch, denn unter dem Deckmäntelchen Zivilgesellschaft kochen alle möglichen Gruppen und Grüppchen ihre Süppchen. "Zivilgesellschaft" als Etikette ist nach wie vor für die meisten damit Operierenden äußerst positiv besetzt, die Diskussion über die Funktion und/oder die Ziele der Zivilgesellschaft findet daher so gut wie nicht statt. Damit bleiben die unterschiedlichen Ziele einzelner AkteurInnen unbenannt. Vom kleinsten gemeinsamen Nenner wird einfach ausgegangen. Dabei stellen sich für mich zumindest drei Fragen ganz dringend: Kann eine lose Bewegung, die sich bewußt außerhalb von Einrichtungen wie Parteien, Gewerkschaften etc. stellt, tatsächlich längerfristig (in Österreich) etwas erreichen? Ist es noch "Zivilgesellschaft", wenn z. B. eine Demonstration gemeinsam mit der Gewerkschaft stattfindet? Warum muß sich eine Bewegung von Parteien, Gewerkschaften etc. überhaupt abgrenzen, wobei ja nicht alle Fraktionen bzw. Parteien gleichermaßen "draußen" bleiben müssen?

derStandard.at: Sie sind selbst Autorin und Journalistin und setzen mit Ihren Texten Zeichen gegen Schwarz-Blau. Reicht es, Zeichen zu setzen?

El Awadalla: Einerseits geht es ja nicht nur darum, einen schönen, gescheiten, wasauchimmer Text zu verfassen, es geht ja auch darum, eine Öffentlichkeit dafür zu finden - und da taucht die erste Grenze auf, weil sich die Medienlandschaft in den letzten fünf Jahren doch sehr geändert hat, denn die Alternativmedien sind rar geworden. Ist es bloß ein Zeichen, wenn ich mit den anderen üblichen Verdächtigen jeden Donnerstag vor dem Bundeskanzleramt lese? Oder geht es über das Zeichensetzen hinaus? Für mich wie auch für die anderen ständig Beteiligten sind die Widerstandslesungen eine künstlerische und politische Daueraktion, die auch schon NachahmerInnen z. B. in Linz, Berlin und Hanau gefunden hat. Letztere wurde zur Dauereinrichtung und findet parallel zu unserer statt. Immer wieder verlangen ausgerechnet jene, die nur jammern, von mir und anderen exponierten Schwarzblau-GegnerInnen, sie mögen doch Zeichen setzen. Mögen sie doch selber damit anfangen.

derStandard.at: Ist man als politisch aktive Autorin oder Kunstschaffende nicht immer gefangen in einer reinen Kunstöffentlichkeit?

El Awadalla: Die Kunstöffentlichkeit ist - wenigstens für mich - reine Fiktion. Da ja von Schwarzblau alles mögliche dazu getan wird, um KünstlerInnen zu marginalisieren. Die Auftritts- und Publikationsmöglichkeiten werden immer mehr eingespart, Kunst wird nach wirtschaftlichen Kriterien gemessen, am liebsten evaluiert. Daß frau überhaupt noch als Künstlerin wahrgenommen wird, ist nur dem intensiven eigenen Strampeln und der Solidarität der KollegInnen zu verdanken.

derStandard.at: Die FPÖ befindet sich derzeit als Partei in gröberen internen Schwierigkeiten. Steht die Schwarz-Blaue Koalition vor ihrem Ende?

El Awadalla:Daß die Koalition am Ende ist, wurde schon so oft vorhergesagt. Der Kleister, der die Hinterteile am Sessel hält, war allemal stärker, warum sollte das jetzt anders sein?

derStandard.at: Sie sagten einmal, die Widerstandslesungen richten sich gegen "Disziplinierungsmaßnahmen" der Regierung. Die Verschärfung der Asylgesetze steht unmittelbar bevor. Auch eine Disziplinierungsmaßnahme?

El Awadalla: AusländerInnen, noch dazu solche, die nix haben und auf Hilfe angewiesen sind, sollen sich gefälligst so verhalten, als wären sie gar nicht da. Oder noch besser: Sie sollen bleiben, wo der Pfeffer wächst. So sagt das natürlich niemand, aber die Argumentation von Schwarzblau läuft auf genau diesen Standpunkt hinaus. Bei Gegenüberstellung der Kosten für den Grenzschutz, sprich: die Flüchtlingsabwehr, und jenen Kosten, die AsylantInnen tatsächlich verursachen, würde sich ergeben, daß die Anschaffungskosten eines Geräts die Unterhaltskosten für einige AsylantInnen bei weitem übersteigen. Andere Disziplinierungsmaßnahmen sind gegen die ÖsterreicherInnen selbst gerichtet, wenn z. B. jemand mit dem Pensionsbescheid in der Tasche in einen (noch dazu teuren) AMS-Kurs geschickt wird; wenn z. B. Vereinen, Kleinverlagen usw., die nicht ins schwarzblaue Engstirnmuster passen, die Subventionen gekürzt oder gleich ganz gestrichen werden.

derStandard.at: Die Widerstandslesungen haben im Gegensatz zu den Donnerstagsdemonstrationen nie aufgehört. Was passiert mit dieser fünf Jahre dauernden "Tradition" nach einer möglichen Abwahl von Schwarz-Blau?

El Awadalla: Dann wird es eine große, feierliche letzte Widerstandslesung geben, was aber nicht heißt, daß wir uns ins Privatleben zurückziehen werden. Bei Gelegenheiten und an Orten, die wir für sinnvoll erachten, wird es immer wieder Lesungen geben, die dann vielleicht nicht Widerstands- sondern Protestlesungen heißen werden. Immerhin haben wir, Traude Korosa und ich, uns in den nunmehr 283 Widerstandslesungen ein unbezahlbares Knowhow als Alternativ- und Protestveranstalterinnen erarbeitet.

derStandard.at: Wie werden Sie das "Jubiläumsjahr" politisch nutzen?

El Awadalla: Ich (natürlich auch im Rahmen der Widerstandslesungen) will an Gedenktage erinnern, die sich als Jubiläum so gar nicht eignen und daher lieber verschwiegen/vergessen werden, z. B.: zehn Jahre Bombenanschlag auf die Roma von Oberwart. Dazu hatten wir am Ballhausplatz eine eigene Schwerpunktlesung. Das nächste Thema, das das offizielle und jubilierende Österreich verschweigen will, ist der Tod von Ernst Kirchweger. Vor vierzig Jahren, genau am 31. 3. 1965, wurde er während einer Demonstration gegen den antisemitischen Universitätsprofessor Taras Borodajkewycz vom Neonazi Günther Kümel attackiert und schwer verletzt. Am 2. 4. 1965 erlag er seinen Verletzungen. Kümel wurde zu zehn Monaten Haft verurteilt. Die Widerstandslesung am 31. März wird daher einen Schwerpunkt zum Tod von Ernst Kirchweger und den politischen Hintergründen haben. Weitere unwillkommene Gedenktage werden das ganze Jahr hindurch folgen.