Paul Nizon
Das Drehbuch der Liebe.
Journal 1073-1979.
€ 23,40/300 Seiten.
Suhrkamp, Frankfurt/Main 2004.

Foto: Buchcover
Das Fazit vorweg: Wer Nizons Roman Das Jahr der Liebe (1981), die Capriccios Im Bauch des Wals (1989) oder das kleine Meisterwerk Hund. Beichte am Mittag (1998) gelesen hat, kommt sich bei der Lektüre seiner Tagebücher vor wie ein Gourmet, dem der Kellner Eis in das Glas Château Mouton Rothschild geschüttet hat: Der Wein wird nicht nur verdünnt, er besitzt auch noch die falsche Temperatur.

In allen Werken Nizons wird das Verhältnis der Kunstfigur Nizon zu den Frauen prägnanter, verdichteter, ästhetischer dargestellt als in diesem Journal der Jahre 1973 bis 1979 mit dem seltsamen Titel Das Drehbuch der Liebe, ja, schon der Titel widerspricht eklatant Nizons Credo, es gebe im Leben und in der Liebe keine Geschichte und keinen Plan, geschweige denn ein Drehbuch.

In verdünnter Form und unterkühlt, dazu noch weit unter Nizons Stilmöglichkeiten sind dies Notate über das Leben eines Schriftstellers "in der Mitte des Wegs", in der Phase seiner Midlifecrisis, die seine Männlichkeit und sein Künstlertum erschüttern.

Kernstücke sind die Beziehung zu Odile, einer jungen Frau aus Paris, Freundin der eigenen Tochter; die Überlegungen zu seinen Romanen Stolz und Das Jahr der Liebe; die Liebe zur Stadt Paris, die Reisen, das gebrochene Verhältnis zur Schweiz. Dazwischengeschoben hat der Herausgeber Wend Kässens Briefe an den Verleger Siegfried Unseld, an den Sohn Boris oder die Kollegin Elisabeth Borchers. Darin erklärt Paul Nizon sich selbst, sein Werk, seine künstlerischen Absichten, seine Mühe und Qual mit dem Stoff.

Wir lernen den Menschen Nizon, nicht die Kunstfigur Nizon in seinem Werk kennen. Manchmal ist es erhellend, etwa wenn der Autor Einsicht in seine zerstörerischen Seiten im Umgang mit der Frau Marianne zeigt; wenn ihn die Schuld peinigt, die Familie im Stich gelassen, die Rolle des Vaters der Rolle des Schriftstellers geopfert zu haben; wenn er all die Erniedrigungen der Geldbeschaffung schildert, die Selbstzweifel, die Probleme mit Alkohol, die Angst vor dem Vergessen und dem Nichts.

"Warum habe ich, sowohl in Paris wie jetzt auch in London, jedes Jahr in verstärktem Maß den Eindruck einer Entzauberung?" Er glaubt, es liege an der Stadtentwicklung, in Wirklichkeit leidet er an der Melancholie der Erfüllung: Hinter sich den Aufbruch, hinter sich das bürgerliche Leben, hinter sich Beruf und die Enge der Schweiz. Vieles gesehen, viele Frauen gehabt, als Autor arriviert - in der Mitte des Lebens, und was jetzt?

Nun braucht es stärkeren Stoff, und diesen findet Nizon in Odile. Er verfällt der über zwanzig Jahre jüngeren Frau mit Haut und Haar, Hirn und Herz. Die Beziehung ist qualvoll, eine Obsession, eine Krankheit. Er befindet sich "auf einer Rutschbahn zum Tode", hält Odile womöglich für seine letzte Frau vor dem eigenen Tod. Zum ersten Mal versucht dieser Womanizer und Frauenverzehrer mit der jungen Geliebten einen Alltag aufzubauen, ein Zusammensein und eine Zukunft zu planen.

Nizon führt sich in diesem Journal in all seiner Schwäche und Beziehungsuntauglichkeit vor. Besonders eindrücklich zeigt sich dies in den Schilderungen seiner Treffen mit Marianne, der Frau, die "durch meine Hölle gegangen" und doch weiter bereit ist, "dem Dreckskerl zu helfen, der ihr so viel Leid zugefügt hatte".

Schreibt hier einer, der in sein Leid verliebter ist als in die mögliche Heilung? Man findet in diesem Drehbuch der Liebe eigentlich alle Theorien über die Sublimation und den Nährboden der Kunst aus dem Ungenügen an der Welt bestätigt. Die Großartigkeit des Schriftstellers Nizon ermisst sich gerade aus der Fallhöhe zwischen einem Werk wie Hund. Beichte am Mittag und diesen Aufzeichnungen. Wer sich aber dem Menschen Nizon - und dem Leben an sich - nähern will, findet im Journal genügend interessantes und erhellendes Material. "Das Leben ist zu gewinnen, oder zu verlieren. Ich suche es", hat Nizon einmal geschrieben. Er ist sich selbst und dieser Devise treu geblieben, auch davon sprechen seine Tagebücher. (Der Standard, Printausgabe, 19./20. 3. 2005)