In Wirklichkeit ist alles ganz anders
22.10., 18.00
Stadtkino

Foto: Viennale

Calling Hedy Lamarr
19.10., 20.30
Stadtkino

Foto: Viennale
Zwei österreichische Dokumentarfilme, die ihre Künstlerporträts über Umwege entwerfen.

Die Malerin Martha Jungwirth will über ihre Bilder und die Kunst im Allgemeinen nichts sagen. Die anderen würden ohnehin permanent über sich und ihr Werk Aussagen treffen, das alles könne sie schon nicht mehr hören. Und dann gebe es ja noch dieses "Zwischenreich der Experten", aus dem man ja auch kaum Gescheites vernehmen würde. Nein, Jungwirth konzentriere sich lieber aufs Malen.

Für die Verweigerungshaltung, den Widerstand gegenüber der Darstellung, ist in den Arbeiten des österreichischen Filmemachers Wilhelm Gaube viel Platz. Seine Porträts, Dokumentationen und kleinen Essays über die wesentlichen Vertreter der heimischen Kunstszene seit den späten 60ern sind offene Begegnungen: über 200 Filme, weniger über bildende Kunst, eher über die Künstler, die Menschen hinter der Kunst.

Joerg Burger hat mit In Wirklichkeit ist alles ganz anders nun das Porträt des Porträtisten Gaube erstellt. Auch er "verweigert sich", ist er doch (abgesehen von zwei kurzen Szenen) im Film nicht zu sehen, sondern nur als Off-Stimme präsent. Wie schon in Moscouw, seinem Porträt der gleichnamigen Performancekünstlerin, nähert sich Burger seinem Protagonisten allein über dessen Werk – es liefert genügend Verweise auf die Eigenheiten des Autors.

Den Rahmen bilden (neu gedrehte) Aufnahmen von Gaubes Arbeitsplatz, dem Schneidetisch; der Hauptteil des Films besteht jedoch aus Stellen in Gaubes Filmen, in denen seine Anwesenheit manifest ist: Da richtet dieser etwa einführende Fragen an seine Gegenüber, oder er wird von Franz Ringel gemalt; da scheint er zunächst an deren Widerspenstigkeit zu scheiern (Ona B.) – um dann Jahre später, beim Wiedersehen des Materials, zu erkennen: "Des is' es eigentlich."

Deutlich wird in In Wirklichkeit ist alles ganz anders auch, wie unverblümt sich Gaube an die Künstlerinnen und Künstler wendet; wie sehr er von deren gesellschaftlicher Ausnahmeposition und kreativer Arbeitsweise fasziniert ist. Ob bei Oswald Oberhuber, Johann Jascha oder Peter Skubic: Stets wird auch dem künstlerischen Akt Raum gewährt. Er sucht dabei keineswegs analytische Zugänge, sondern ganz unmittelbare, die mehr demonstrieren als beweisen wollen.

Burger gelingt es durch seine szenische Anordnung, Gaubes Zugang zu vermitteln, ohne ihm seine Rätselhaftigkeit zu nehmen: "Ein Menschenforscher" sei er, sagt Gaube einmal; dass er in seinen Porträts immer auch sich selbst suche, meint Cornelius Kolig. Dann heißt es wieder, die ganze "Filmerei is a einzige Hetz". Auf die Frage, was sein Filmen ausgelöst hat, kann es keine endgültige Antwort geben: Man wisse eben nie ganz, worum es geht.

Telefoninterviews

Um eine eigentümliche Abwesenheit kreist auch Georg Misch mit seiner Dokumentation Calling Hedy Lamarr. Anthony Loder, der Sohn des in Österreich geborenen Hollywoodstars, begibt sich darin auf eine umfangreiche Spurensuche, die vor allem über das Telefon verläuft: Gerüchte, Meinungen und (Halb-) Wahrheiten über das Leben der mythenumrankten Schauspielerin, die einmal als "the most beautiful woman of the century" galt, laufen wie bei einer Konferenzschaltung zusammen.

Ein Journalist, Loders Schwester Denise, einstige Weggefährten und Freunde Lamarrs sind am Apparat (und halten dabei in einem etwas überstrapazierten Bild durchgehend den Telefonhörer in die Hand): Misch fingiert auf diese Weise ein Gespräch seiner Protagonisten, das die divergierenden Ansichten (und Erinnerungen) übersetzt – und intakt lässt: Denn nicht eine neue Erkenntnis leitet Misch, vielmehr der Mythos selbst, seine Resistenz gegenüber einseitigen Deutungen.

Während Loder seinen Träumen, selbst Filmemacher zu sein, nachhängt – seine Regieanweisungen bezüglich eines Lamarr-Projekts werden genauso umgesetzt wie ein Casting –, arbeitet Misch Episoden im Leben der Diva auf: vom Beginn als Sexsymbol (sie war in Gustav Machatys Ekstase die erste nackte Frau des Spielfilms) über ihre Zeit in Hollywood bis zur Erfindung einer Funktechnologie.

Greifbar wird Lamarr nicht, ihr Bild – gerade die pointiert eingesetzten Filmausschnitte zeigen das einmal mehr – entzieht sich der Besitznahme. Calling Hedy Lamarr schichtet und rearrangiert gewitzt Oberflächen neu, mitunter auf Kosten seiner Figuren, die zu spielerischen Agenten werden, deren dunklerer Seiten man nicht habhaft wird. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.10.2004)