Foto aus dem Buch: Irene Harand "Sein Kampf" Wien, 1935

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Die "Harand-Bewegung" war in den 30er-Jahren die einzige gesellschaftliche Kraft in Österreich die nur aus zwei Gründen existierte: Nationalsozialismus und Antisemitismus in welcher Form auch immer zu bekämpfen. In Österreich hatte die Bewegung einige tausend Mitglieder, doch auch in vielen Ländern Europas gab es Sympathisierende und Fördernde.

Es gibt mehrere Gründe, dass diese Bewegung in Österreich in Vergessenheit geriet: Zum einen passte sie nicht in das "links/rechts"-Schema der politischen Kategorien nach 1945. Zum anderen bewies die Harand-Bewegung schon damals, dass Christentum und Antisemitismus und Nationalsozialismus niemals miteinander vereinbar sind.

Irene Harand und Moritz Zalman standen politisch dem christlich-konservativen und legitimistischen Lager nahe. Viele erklärte Monarchisten wurden aktive Mitglieder der Harand-Bewegung. Irene Harand unterstützte politisch vollinhaltlich den Kurs der österreichischen Regierungen jener Zeit unter Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg. In der Wochenschrift Gerechtigkeit und in den Reden bei Massenversammlungen der Harand-Bewegung wurde diese Haltung klar zum Ausdruck gebracht. Jede Kritik am Dollfuß-Regime lehnte Irene Harand unter dem Hinweis ab, dass Dollfuß Österreich vor der Naziflut gerettet habe und jede Diskussion über den Ständestaat nur den Nazis nützen würde.

Harand trat für die Bildung einer "Einheitsfront" gegen den Nationalsozialismus ein und akzeptierte, dass in Zeiten höchster Gefahr die demokratischen Freiheiten eingeschränkt werden müssten, da diese von den Gegnern Österreich zu Propaganda benützt werden würden.

Treue Anhängerin ...

Die Bemühungen, einen "Christlich-Deutschen Ständestaat" zu errichten, wurden von Irene Harand ebenfalls unterstützt. Irene Harand interpretierte "deutsch" als Sprachzugehörigkeit und verstand unter "christlichem Handeln" den Kampf gegen den Antisemitismus.

Dass es dennoch innerhalb der Vaterländischen Front, der die Harand-Bewegung angehörte, auch antisemitische Strömungen gab, erkannte sie sehr wohl, doch lastete sie dies nicht dem Regime an: "Die aufrechten Bemühungen der Regierung werden sabotiert von einer Gruppe von Politikern und Bürokraten, die, aus mutwilliger oder unbewusster Dummheit heraus, Antisemitismus unterstützen, um einen bestimmten Teil der Bevölkerung für das gegenwärtige politische System zu gewinnen", schrieb sie am 25. Oktober 1934 in der Gerechtigkeit.

Harand protestierte scharf gegen die Entlassung jüdischer Ärzte aus dem Dienst der Gemeinde Wien, der Zwangspensionierung jüdischer Beamter und gegen die "Verdrängung vieler Juden aus dem kulturellen und wirtschaftlichen Leben". Sie kam zur Schlussfolgerung, dass diese Taten nicht "nur ein Affront gegen den Geist der Gerechtigkeit und der christlichen Ethik sind", sondern auch "Agitation" gegen die Regierung.

Das Juli-Abkommen 1936 zwischen Österreich und dem Dritten Reich feierte Irene Harand als großen Sieg der Regierung im Kampf um die Unabhängigkeit des Landes. Dass mit diesem Abkommen der nationalsozialistischen Propaganda in Österreich Tür und Tor geöffnet wurde und Nationalsozialisten wichtige Regierungsfunktionen übernahmen, wollte oder konnte sie nicht wahrhaben.

Die verstärkte Propaganda des Nationalsozialismus in Österreich nach dem Juli 1936 beantwortete sie mit verstärkter Aufklärung.

Irene Harand blieb bis zum Schluss eine treue Anhängerin der Regierung Schuschnigg, obwohl auf Drängen des deutschen Botschafters von Papen einige Massenversammlungen der Harand-Bewegung in Wien untersagt wurden. Ob Irene Harand ihre Meinung bezüglich dem Ständestaat später geändert hat, ist bisher nicht bekannt. Ihr kompromissloses Eintreten für den Ständestaat brachte ihr vor allem von sozialdemokratischer Seite Kritik ein. Die Sozialdemokraten anerkannten zwar ihren Kampf gegen die Nazis und den Antisemitismus, kritisierten sie aber wegen ihrer Haltung zum Ständestaat und zum Bürgerkrieg im Februar 1934.

... des Dollfuß-Regimes

Die Schuld am Bürgerkrieg gab Irene Harand alleine den Führern der Sozialdemokratie. Diese hätten zum einem durch ihr unverantwortliches Handeln die Front gegen die Nationalsozialisten geschwächt und zum anderen die Arbeiter verraten: "Der Hauptgrund des Versagens sozialdemokratischer Parteiführer bestand darin, dass sie ihr eigenes Wohlergehen als eines der Ziele, in manchen Fällen sogar als Hauptziel und die Arbeit für ihre Wähler als Mittel zur Erreichung einer gehobenen Stellung für sich selbst angesehen haben", urteilt Irene Harand in der Gerechtigkeit vom 16. Februar 1934.

Anderseits verteidigte sie die Sozialdemokraten gegen Angriffe von Antisemiten, wie des christlich-sozialen Arbeiterführers Leopold Kunschak: "Dass es aber verhältnismäßig viele jüdische Politiker in der sozialdemokratischen Partei gab, ist auf die bedauerliche Tatsache zurückzuführen, dass die großen bürgerlichen Parteien antisemitisch eingestellt waren, und (...) weil sie in wirtschaftlicher Beziehung den breiten Schichten des Volkes nichts oder wenig bedeutete."

Trotz ihrer Gegnerschaft zu den Sozialdemokraten nutzten viele in die Illegalität gedrängte Parteimitglieder mit Wissen und stiller Billigung von Irene Harand die Harand-Bewegung als Organisationsplattform, um sich neu zu formieren.

"Sein Kampf"

Die Nationalsozialisten nahmen den Kampf der Harand-Bewegung durchaus ernst. Irene Harands Buch "Sein Kampf - Antwort an Hitler", das sie 1935 im Eigenverlag und auf eigene Kosten herausgab, wurde nach dem Anschluss in Salzburg öffentlich verbrannt. Die Nationalsozialisten setzten gar eine Kopfgeld von 100.000 Reichsmark für die Ergreifung von Irene Harand aus. Ein durchaus beachtlicher Betrag, war doch das Jahreseinkommen eines Hochschulprofessors in jener Zeit in etwa ein Zehntel dieser Summe.

Irene Harand konnte jedoch nicht gefasst werden, da sie sich im März 1938 in Paris und London befand, um dort - im Auftrag und mit Billigung des Ständestaat-Regimes - für die Unabhängigkeit Österreichs Stimmung zu machen.

Irene Harand flüchtete in die USA und begründete dort die Emigrantenorganisation Austrian Forum mit, die sie von 1960 bis zu ihrem Tod 1975 leitete. (Christian Klösch/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14. 3. 2005)