Foto: Ritter Verlag
Wien - Otto Breicha hat einmal gemeint, Andreas Okopenko sei "kein Autor für gesammelte Werke". Mittlerweile hat der Ritter Verlag eine gediegene Neuedition der Prosa zustande gebracht, der Dichter hat den Österreichischen Staatspreis und den Trakl-Preis bekommen, und doch ist er nach wie vor der große Kaum-Bekannte unserer Literatur. Das mag daher rühren, dass er - eher ein Autor verstreuter Werke - seine Produktion gerecht auf etliche Verlage verteilt hat. Oder daher, dass der "behutsame Linke" (AOk über AOk) sich von der tagesaktuellen Meinungsspende ebenso fern hält wie vom Literaturgetriebe.

Es liegt aber wohl vor allem an seinem Ruf als Pionier der österreichischen Avantgarde, dem er auch als gewissenhafter Chronist der Epoche gerecht geworden ist.

Man kann die Behauptung wagen: Okopenkos Texte sind nicht so schwer zugänglich, wie die meisten glauben, und nicht so leicht, wie der Autor selbst glaubt. Von den "dunklen Glanzstellen" in seinen Gedichten hat Ernst Jandl bewundernd gesprochen. Denn begonnen hat der in Kaschau geborene Sohn eines ukrainischen Arztes und einer Wienerin als Lyriker: Was Okopenko in den Fünfzigerjahren schrieb und in der Zeitschrift Neue Wege veröffentlichte, elektrisierte die junge literarische Szene: ein neuer, vorlaut-ironischer Ton inmitten des Nachkriegspathos, politische Unverblümtheit und eine unverbrauchte Bildlichkeit, mit der sinnliches Welterlebnis ausgestellt wird, kurz: die Feier des "Konkreten", wie T. S. Eliot es meinte, nicht im Sinne der "Konkreten Poesie".

Von Anfang an stand Okopenko auf poetologischem Kriegsfuß mit der Wiener Gruppe: Unverdrossen glaubt er an die Wirklichkeit, die "füllige Wirklichkeit" mit allen traumhaften Tiefendimensionen, und an die Praktikabilität der Sprache - ein Dichter von größter Geistesgegenwart und zugleich geradezu anachronistischer Existenzbejahung, ein Meister der präzisen Schwärmerei.

Sein Mädchen- und Dicke-Damen-Kult ("100 kg attraktive Frau"), irgendwo zwischen Peter Altenberg und Doderer, ist nur die Kulmination eines allumfassenden Welt-Eros. Dabei ist Okopenko Romantiker mitsamt der einschlägigen Ironie und einer abgebrühten Innigkeit, die ihn andererseits als einen "letzten Erben der 'Neuen Sachlichkeit'" ausweist, dem, wie es in einem Gedicht heißt, "am sichersten" noch "der Geruch der gebackenen Hühner" erscheint.

"Lexikon-Roman"

In seinem Lexikon-Roman (1970) hat Okopenko sein Welt-Bild vorexerziert: in einer Symbiose von Unvollständigkeit und Genauigkeit. Er bietet neben einer im Alphabet versteckten Hauptroute durch die Wachau gar viele Querverweise mit Mikroessays - ein Abbild des Reisens als Möglichkeitsform, bei der es davon abhängt, welche Abzweigungen man nimmt.

Die Welt ist für ihn das schöne Durcheinander, in das erst die "Lektüre" eine Reihenfolge bringt: "Ich will Sie aus der Lektüre in die Welt befreien." Mit der offenen Verweisstruktur hat er den ersten Hypertextroman ante verbum geschaffen, dessen Potenzial sich erst Jahre später in einer CD-ROM ausschöpfen ließ.

Leselust stellt sich ganz von selbst ein, wenn man sich auf Okopenkos totalen Realismus der Sinne wörtlich einlässt. Erlaubt, ja verlangt der Autor im Roman Meteoriten (1976) noch das schmökernde Querfeldein-Lesen, so schreibt er in Kindernazi (1984) eine auf den Kopf gestellte Chronologie vor, die gleichwohl Anforderungen an die Mobilität des Lesers stellt: Mit jeder Episode Schritt für Schritt aus dem Jahr 1945 zurückgehend bis zum Keim der kindlichen Begeisterung, aber ohne nachträgliche Besserwisserei, hat Okopenko, der mit neun Jahren aus der Slowakei nach Wien kam, hier den wohl originellsten Beitrag zur autobiografischen NS-Spurensuche geleistet.

"Lockergedichte"

Dass er ein Formulierer von anarchischem Witz und kaum überbietbarer Prägnanz ist, davon künden etliche Bände seiner Lockergedichte, spontane Fügungen ohne Dichterkontrolle, die, wie weiland bei Christian Morgenstern, nicht von allen goutiert wurden. Die Leute, weiß Okopenko, haben eben keinen Januskopf: "Sie können nicht zugleich ernst nehmen und lachen." So entgehen ihnen bündige Weisheiten wie "Ehe - diese unweise Nähe". Oder unter dem Titel "Mode": "Erst begatten/dann bestatten./Unterschied: nur die Krawatten."

Andreas Okopenko hat auch Hörspiele und Theaterstücke geschrieben, Aufsätze, Parodien und Essays über Kollegen, von Hertha Kräftner bis Theodor Kramer. Bedauern kann man, dass er schon lange keinen Band mit "ernsten" Gedichten vorgelegt hat. Hier waltet wohl strenge Selbstkontrolle. Lautet seine Definition von "Schriftsteller" doch: "Missing link/pissing ink." (Daniela Strigl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14. 3. 2005)