"Sometimes I feel I'm almost gone / so far away from home": Linda Sharrock is back.
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Wien - "An sich habe ich gedacht, ich hätte mich zur Ruhe gesetzt. Irgendwann war ich nur mehr an Buddhismus interessiert, alles, was ich wollte, war, in den Tempel zu gehen, um zu meditieren. Weshalb ich in den letzten Jahren viel Zeit in Korea, in Seoul, verbracht habe. Aber mit Gesang ist die innere Balance insgesamt doch eine bessere." Nicht allen ist zuletzt Linda Sharrocks Absenz aufgefallen.

Denn die Erinnerung an die Zeiten, in denen sie gleichsam flächendeckend auf Europas Jazzfestivals präsent war, in denen sie gemeinsam mit ihrem Partner Wolfgang Puschnig als improvisierendes Traumpaar firmierte, sie liegt nicht allzu lange zurück. Pat Brothers, AM4, Red Sun & SamulNori, Alpine Aspects - die Liste der Projekte, mit denen Puschnig und die aus Philadelphia Stammende, die in den 70er-Jahren Jahren an der Seite von Sonny Sharrock Teil der New Yorker Free-Jazz-Szene war, bevor sie private Umstände 1980 nach Österreich verschlugen, international Furore machten, ist lang.

Aber nach der Trennung von Puschnig begann für Sharrock eine Phase der Neuorientierung. Eine dunkle Zeit, erfüllt vom mühevollen Auf und Ab eines sensiblen Seelenlebens, von existenziellem Zweifel und, ja, auch Abschiedssehnsucht, wie auch vom Versuch, hinter allem Fatalismus auch an das zögerliche aufblinkende Licht am Ende des Tunnels zu glauben.

Diese Eindrücke gewinnt man nach dem Hören der nun erschienenen CD Confessions, einer Doch-noch-Scheibe, ermöglicht durch die Wiener Quinton-Produzenten Heinrich Schläfer und Andreas Rathammer, mit der sich Sharrock paukenschlagartig zurückmeldet. "Es ist nicht einfach, über sich selbst zu singen, sich so zu öffnen - aber ich muss es tun. Liederschreiben und Singen bedeutet für mich einen kathartischen Akt", so Sharrock über ihr neues Werk.

Confessions ist das persönlichste, intimste CD-Statement, das die 58-Jährige bis dato veröffentlicht hat, eine CD, die eine auch stimmlich verwandelte Sängerin zeigt: Nicht mehr die sinnlich-soulige Diva hört man hier, sondern eine Frau, die mit gereifter, gerade in ihrer Brüchigkeit ungemein charismatischen Stimme sprechsingend über sich selbst reflektiert.

Die Aussage

"Sometimes I feel I'm almost gone / so far away from home": Zeilen wie diese aus dem Opener Motherless Child sorgen, ohne jede Koketterie aus dem tiefsten Inneren herausgestoßen, für Gänsehaut. Im Verein mit ihren Pariser Begleitern, Pianist Stephan Oliva und Bassist Claude Tchamitchian, die sich gekonnter Zurückhaltung üben, ohne dadurch aussagelos zu bleiben, schafft Linda Sharrock Musik, die berührt. Und in der schon einzelne Worte mehr aussagen als viele der zurzeit gehypten Jazz-Models auf ganzen Einspielungen.

Linda Sharrock: "Ich bin keine, die andere Musiker beurteilt. Ich sage nie: 'Das habe ich schon vor 25 Jahren gemacht' - oder Ähnliches. Ich weiß nur, dass es mein wichtigstes Anliegen ist, an meinem Material, an mir selbst zu arbeiten. In früheren Zeiten, mit Sonny Sharrock, war es das politische Konzept des Free Jazz, Ideen von schwarzer Freiheit zur formulieren. Nun will ich vor allem mich selbst ausdrücken. Und durch die Musik mir selbst näher kommen." (Andreas Felber/D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 11.3. 2005)