Foto: Stadtkino
Wien – Ein Lehmbau mit Pfeilern, der wie ein trotziger Igel aussieht, und, gleich nebenan, ein menschengroßer Termitenhügel: Das sind die beiden Orte, die durchaus in Widerstreit zueinander stehende Traditionen symbolisieren. Ersterer ist die Moschee des kleinen afrikanischen Dorfes, Letzterer verweist auf die Auswirkungen eines älteren Gesetzes, den Moolaadé: ein Wort, das Schutz spendet. Wer es bricht, dem droht Strafe. Ein Herrscher, der sich nicht daran hielt, erstarrte zum Mahnmal.

Moolaadé ist auch der Titel von Ousmane Sembènes Film, in dem die Tradition des Schutzwortes auf (geschlechter-)politische Weise aktiviert wird. Collé Ardo (Fatoumata Coulibaly), die eigensinnige Vorkämpferin des Dorfes, gewährt vier Mädchen Zuflucht, die aus Furcht vor der rituellen Beschneidung zu ihr geflohen sind. Sie spricht den Moolaadé aus und spannt einen Strick vor das Haus, den niemand übertreten darf. Collé bezieht sich auf eine Tradition, um eine andere – von Männern dominierte – zu brechen. Eine Provokation, aus der ein Aufstand wird.

Sembène, der 81-jährige Altmeister des afrikanischen Kinos, setzt dieses nur vermeintlich sperrige Thema mit großer Gelassenheit um. In den Grundzügen eine Parabel hat Moolaadé einen pädagogischen Kern: Er zielt auf die Vermittlung von politischem Bewusstsein ab, auf Selbstermächtigung, auf das Aufbrechen patriarchaler Herrschaftsmodelle. Dabei verliert Sembène die Vorzüge eines Massenmediums nicht aus den Augen: Die Spielfreude seiner Darsteller, die Kombination von Farben und Musik, der Rekurs auf eine traditionelle Formensprache – das ist Volkskino, im besten Sinn.

Archetypische Züge

Schon darin nähert sich der Film Brechts Begriff eines epischen Theaters an. Wie dort werden Handlungen als soziale Manifestationen verstanden, weisen Figuren archetypische Züge auf, die über regionale Beschränkungen hinausgehen. Offensichtlich wird dieses Prinzip an Collés Gegenspielern: nicht nur an den rückschrittlichen Tyrannen des Ortes, die die Radios der Frauen konfiszieren, oder den in Rot gekleideten Beschneiderinnen, sondern gerade auch an jenen, die Modernisierung versprechen, aber kein Volk hinter sich zu sammeln vermögen.

Einer ist Ibrahima (Moussa Theophile Sowie), der Sohn des Dorfoberhauptes, der aus Frankreich wie ein siegreicher General zurückkehrt; der andere ein Söldner (Dominique T. Zeida), der Waren im Ort verkauft. Beiden spricht Sembène die Fähigkeit ab, Botschafter der Aufklärung zu sein, weil ihre Interessen viel zu subjektiv bleiben. Die Revolte gewinnt erst Substanz, als sie von innen heraus geschieht; wenn auf Collés Hartnäckigkeit solidarische Aktionen anderer Frauen folgen, ihr Handeln also zu einem kollektiven wird.

Nach Faat Kiné – dem Drama einer kämpferischen Tankstellenbesitzerin – ist Moolaadé Sembènes zweiter Teil einer Trilogie des "Heroismus im Alltag". Beide setzen auf das Potenzial von Frauen, Afrika aus der Bevormundung zu befreien. Er findet dafür Bilder, die allgemein, grundoptimistisch, beinahe etwas naiv sind. Am Ende gibt es neben der Moschee und dem Termitenbau ein neues Zeichen der Macht: eine Dachantenne. Sembène ist kein Skeptiker gegenüber medialer Wirkkraft. (DER STANDARD, Printausgabe, 08.03.2005)