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Robert Misik:
Genial Dagegen
€ 18,40/260 Seiten.
Aufbau, Berlin 2005

Foto: Archiv
Seit die fetten Jahre vorbei sind, macht die Suche nach dem Sinn im Leben - oder, wahlweise: nach dem echten Leben - wieder richtig Spaß. Am schnellsten kapiert hat das Michael Moore: Kein Kapitalismuskritiker vor ihm war so unterhaltsam und als Unternehmer so erfolgreich wie der amerikanische Polit-Pop-Prediger. Nahe liegend also, dass Robert Misik den "berühmtesten Linken der Welt" in einem der ersten Kapitel seines neuen Buches ( Genial dagegen ) vorführt, gleichsam zur Vorspeise einer beachtlichen Menüfolge: "Here he comes! Der Entertainer unter den Sozialkritikern! Der Mann, der mit Pointen auf George W. Bush schießt, als kommandiere er Cruise Missiles. Michael Moore, Amerikas dickste Smart Weapon: Lachen für den Frieden, Witzeln gegen Rechts, Pointen für den Regime Change. Das Publikum tobt."

Misik, durch journalistische Wertarbeit für Magazine und Zeitungen ebenso als gut lesbar ausgewiesen wie als Autor kluger Bücher (Marx für Eilige), tranchiert den saftigen Brocken so gekonnt, dass zum Schluss "Moores Dilemma" ("Er profitiert vom Setting, das er bekämpft") sowie eine nüchterne Erkenntnis blank vor uns liegen: "Er wäre nicht geworden, was er wurde, wäre ihm nicht ein großes Glück widerfahren - dass ihm in George W. Bush ein kongenialer Konterpart geschenkt war."

Zum nächsten Gang tischt uns Misik scheinbar Schweres auf - auch diesmal so zubereitet, dass die Sache leicht bekömmlich bleibt. Er beschreibt den Hype um die Theorieschwarte Empire und geht dem "erstaunlichen Altersruhm" des Empire-Autors Toni Negri auf den Grund. Negri - Stichwortgeber des italienischen Linksradikalismus und Theorie-Star der Globalisierungskritik - erscheine "umso weiser, je unverständlicher das Zeug ist, das er von sich gibt". Elegant gelingt es Misik in der Folge, selbst derart Kompliziertes verständlich zu machen: Wem Negri im Original zu verworren ist, dem sei Genial dagegen empfohlen. Da wird zuletzt gar noch erklärt, warum Negris Werk trotz aller Hürden so anziehend ist: "Die Revolution ist etwas für Asketen, die warten können, Negris Revolte die passende Haltung für all jene, die jetzt ausbrechen wollen - JETZT, HIER UND JETZT!"

Schlagfertig und pointenreich seziert Misik nach und nach alles, was heute links und in ist. So ist das Buch auch als Lexikon der zeitgenössischen Linken zu lesen - von Andreas (Baader, Mythos) geht es zu Benjamin ("immer radikal, niemals konsequent"), weiter über Che (Mythos) und Chomsky, nach Davos und zu den Disobbedienti von Genua - wohin man auch blickt, das Rebellische ist allgegenwärtig.

Die wesentliche Frage gerät Misik dabei nie aus dem Blick: "Wie ist das Radikale, wie ist Linkssein denk-und begründbar nach der klassischen Linken, jenseits der Orthodoxie?" Furios trägt er auf der Suche nach dieser linken Ideallinie ein Gericht um das andere auf. Mal rührt er das Werk des exzentrischen Philosophie-Entertainers Slavoj Zizek ("das Kontrastprogramm zu Negri, ernster und unernster zugleich") kräftig durch. Dann schält er die postdramatischen Theatertexte des René Pollesch ("Seine Figuren schreien nicht: Ich will anders leben. Sondern sie schreien: ICH WILL DAS NICHT LEBEN.") bis auf ihren Kern. Daneben montiert er, in die Speisenfolge als kleine Grüße aus der Küche eingeschoben, aktuelle Beobachtungen, die ihn als Leser, als Kinobesucher, als Musikhörer ausweisen. Einmal lässt er zum Beleg einer These die Berliner Combo "Wir sind Helden" aufmarschieren, dann werden der Filmemacher Hans Weingartner ("Die private Revolte ist in Wahrheit nie privat") und die Protagonisten der Antiglobalisierungskomödie Die fetten Jahre sind vorbei als Zeugen angeführt ("Wild und frei leben, das will doch jeder Zweite").

Bei aller Freude über die aktuelle Breite des Kritischen bleibt Misik Realist. "Wahrscheinlich werden auch die neuen Revolten den Kapitalismus weder transzendieren noch abschaffen. Aber sie werden ihn ändern." Und das sei Grund genug, dann und wann etwas zu riskieren: "Manchmal ein bisschen zu weit gehen, anstatt stets allzu kurz zu treten." In diesem Sinne: Gehen Sie endlich! Am besten gleich zum Buchhändler Ihres Vertrauens. (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 05./06.03.2005)