Wien - Hiroshi Shimizu hatte eine Zuneigung zu Menschen, die unterwegs sind. Wander- und Saisonarbeiter kreuzen alle seine Filme. Zwei blinde Masseure ziehen in The Masseurs and a Woman (Anma to onna, 1938) aus einem Seebad im Frühling ins Gebirge, wo sie sich von der Zauberbergatmosphäre gefangen nehmen lassen. Das Bad als gemeinschaftliches Ritual und als Arbeitsplatz ist einer der Topoi, an denen Shimizu hängt.
Bezeichnenderweise nimmt Mr. Shosuke Ohara (Ohara shosuke-san, 1949) sein Bad am Morgen allein. Er ist der Vertreter der ersten Familie am Ort, aber dieser Rolle überdrüssig. Als Figur der japanischen Folklore steht Ohara Shosuke für ein leichtfertiges, unbeschwertes Leben. Er ist ein Tunichtgut, deswegen gibt er sein Geld für nebensächliche Dinge aus: Er schenkt den Jungen des Dorfs neue Baseballhemden, lacht aber gleichzeitig über Frauen, die sich nach amerikanischem Vorbild kleiden. Als er schließlich auch noch seinen Esel verschenkt, hat er sein Ideal erreicht: Er ist bankrott, kann den Staub von seinen Füßen schütteln und sich auf Wanderschaft begeben.
Hiroshi Shimizu weiß um die Wonnen dieser Verantwortungslosigkeit, aber kennt auch deren Gegenteil. Seine Filme sind geprägt vom Heimweh nach einer Welt, die den Krieg nicht überlebt hat, weil sie schon vorher dem Untergang geweiht war. Der Regisseur zählt zu den Klassikern des japanischen Kinos, er war befreundet mit Yasujiro Ozu und wurde von Kenji Mizoguchi bewundert. 163 Filme hat Shimizu zwischen 1924 und 1959 gedreht, die meisten davon für das Shochiku-Studio.
Häufig waren Shimizus Protagonisten Kinder; vielleicht ist dies ein Grund für die latente Geringschätzung seines Werks. Dabei war Shimizu – bei allem Talent zur Pastorale – ein Soziologe der Leinwand wie Ozu auch.
Seinen Gegenstand bildete aber nicht die beginnende Moderne, sondern das Ende eines ländlichen Lebenszusammenhangs. In seinem berühmtesten Film Herr Dankeschön (Arigato-san, 1936) fährt ein Mädchen mit seiner Mutter nach Tokio. Es wird dort "in Dienst" gehen. In der kleinen Reisegesellschaft, die sich in dem Autobus zusammengefunden hat, wissen alle, was das bedeutet. Ein unangenehmer Mann versucht sofort, sich als "Patron" zu empfehlen. Der Chauffeur ist der Titelheld des Films, weil er sich bei den Passanten, die er auf den gewundenen Bergstraßen überholt, immer höflich für das Ausweichen bedankt. Wenn eine Truppe weiblicher Kabuki-Spieler mit ihren Rikschas den Weg versperrt, dann hält der Bus eben lange an.
Herr Dankeschön verwendet Shimizu ausgiebig seine Lieblingseinstellung. Die Kamera befindet sich auf einem Fahrzeug und filmt entweder die Vorwärtsbewegung oder den Blick zurück: Kinder, die dem Bus nachlaufen; Wanderer, die winken; Bäume, die sich in der Frühlingsluft wiegen. In Ein Star-Athlet (Hanagata senshu, 1935) entfaltet Shimizu um eine Truppe studentischer Milizionäre eine Komödie des Marschierens.
Die Männer mit ihren Gewehren werden von Kindern nachgeäfft. Als eine Gruppe wandernder Mädchen überholt werden muss, geraten alle Formationen in Unordnung. Die Waffenübungen in diesem Film weisen schon voraus auf den Krieg, aus dessen Erfahrungen Hiroshi Shimizu persönliche Konsequenzen zog.
Laiendarsteller
Als 1948 Children of the Beehive (Hachinosu no kodomotachi) herauskam, war er ein unabhängiger Filmemacher geworden. Seine Firma hieß Hachinosu eiga – "Bienenstock Film". Wie die italienischen Neorealisten suchte Shimizu einen Neubeginn mit jugendlichen Laiendarstellern. Ein Soldat, der vom Festland nach Hause kommt, trifft auf einem Bahnhof eine Schar von Waisen, die er unter seine Fittiche nimmt. Gemeinsam suchen sie Arbeit, sie gewinnen Salz und schlagen Holz und bewegen sich dabei allmählich von Shimonoseki nach Osaka, wo es eine Schule und ein Internat gibt, das der Soldat von früher kennt.
Unterwegs kommen sie auch nach Hiroshima. Aus den Ruinen der vernichteten Stadt ragen nur einige religiöse Andachtsstätten. Aber Shimizu filmt diese Szenen taghell, betont optimistisch. Es ist ein anderer Vorfall, der seine Sicht auf die Welt besser zum Ausdruck bringt. Einer der Jungen fühlt sich beim Anblick des Meeres an seine verschollene Mutter erinnert. Als er krank wird, nimmt ihn einer seiner kleinen Freunde einfach auf die Schulter und klettert, in einem unendlich mühsamen Aufstieg, einen Berg hoch. Als sie die Aussicht erreichen, ist der Junge bereits tot. Sein Grab wird eine weitere Station auf dem langen Weg zu einer erneuerten Gesellschaft.