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Was haben Otto Lilienthal, Charles Lindbergh, Antoine de Saint-Exupéry, Alberto Santos-Dumont, Orville und Wilbur Wright gemeinsam? Alle waren Männer, die eine unstillbare Leidenschaft einte: eine Passion für die Fortbewegung durch die Lüfte. An Bord ihrer Flugmaschinen wagten sie das scheinbar Unmögliche und loteten konsequent die Grenzen des Machbaren aus.
Davon, dass die Zeit dabei eine wichtige Rolle spielte, wusste jeder von ihnen sein eigenes Lied zu singen. Alberto Santos-Dumont etwa beklagte sich beim Pariser Designer Louis Cartier darüber, dass er am Steuer seiner Flugmaschine die Zeit mit seiner Taschenuhr nicht besonders gut unter Kontrolle habe. Cartier reagierte prompt und kreierte mit der legendären "Santos" eine der ersten Flieger-Armbanduhren überhaupt.

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Als Charles Lindbergh nach seinem spektakulären 33,5-Stunden-Flug in Le Bourget bei Paris landete, war er nicht nur um stattliche 25.000 Dollar reicher, sondern auch um viel Erfahrung auf dem Gebiet der Langstrecken-Aviatik. Seine Erkenntnisse mündeten in eine zukunftsweisende Flieger-Armbanduhr von Longines, welche Piloten ab 1931 die wichtige Aufgabe der Longitudinalbestimmung deutlich erleichterte.
1942 schrieb Antoine de Saint-Exupéry in seinem Roman "Flug nach Arraz": "Ich zähle die Zeigerstellungen, die Griffe, die Knöpfe, die Hebel in meinem Reich. Ich zähle hundertdrei Dinge zum Nachsehen, Ziehen und Drücken." Dass schlecht ablesbare Uhr-Zifferblätter in derartigen Situationen problematisch sein konnten, versteht sich von selbst.

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Was sich gestresste Piloten wünschten, war auch der Schaffhausener Uhrenmanufaktur IWC nicht verborgen geblieben. Deshalb hatte sie schon gegen 1935 eine erste spezifische Armbanduhr für Flieger vorgestellt: einen großen, schnörkellosen Zeitmesser am Lederriemen, den ein schwarzes Zifferblatt, große Leuchtziffern, markante Leuchtzeiger sowie eine Drehlünette mit Merkpfeil zum Einstellen der Abflugzeit kennzeichneten.
Auch Willy Breitling, der 1936 einen Bord-Chronografen für Flugzeuge kreiert hatte, dachte in jenen Pionierjahren an das harte Los der Flugzeugführer in ihren kalten, lauten Cockpits. Deshalb präsentierte er Anfang der 1940er-Jahre den "Chronomat" als ausgeklügelten Wegbegleiter. Diese multifunktionale Armbanduhr verfügte neben einem Chronografen über einen Rechenschieber für Multiplikationen, Divisionen, Gleichungen und Prozentrechnungen. Mit ihm konnten Flugzeugführer Durchschnittswerte, Treibstoffverbrauch, durchschnittlichen Höhengewinn, Distanzen beim Aufsteigen und Landen errechnen sowie Kilometer in See- oder Landmeilen umwandeln und umgekehrt.

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Das sind nur einige Beispiele dafür, warum in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Fliegeruhren erfunden und konsequent weiterentwickelt wurden. Zeitmesser, bei denen Widerstandsfähigkeit, Präzision, Funktionalität und Ablesbarkeit einen weitaus höheren Stellenwert besaßen als schmückende Aspekte. Die unglaublich harten Bedingungen in den Flugzeugkanzeln verlangten den tickenden Instrumenten in der Tat einiges ab. Kälte oder Hitze, Halbdunkel oder gleißendes Licht, Vibrationen und Magnetfelder: All dem mussten sie sich möglichst klaglos widersetzen.
Inzwischen liegen die Dinge etwas anders. Abgesehen von wenigen Ausnahmen gelten die Cockpits als Komfortzonen, in denen moderne Elektronik den Piloten viele der ursprünglichen Arbeiten abnimmt. Das Global Positioning System (GPS) meldet unmissverständlich, wo man sich gerade befindet. Computer liefern Informationen wie Flughöhen, Geschwindigkeiten, Reichweiten oder Kraftstoffverbrauch. Fliegeruhren der überlieferten Art sind im Grunde genommen also absolut verzichtbar. Trotzdem feierten sie wegen ihrer eindrucksvollen Optik und ihres faszinierenden Sexappeals vor einigen Jahren ein viel beachtetes Comeback, schließlich gehörte Rückbesinnung auf vergangene Epochen schon immer zu den belebenden Aspekten der Uhrenkultur.

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Wie immer, wenn Retro-Trends gute Geschäfte mit den Handgelenken modebewusster Zeitgenossen versprechen, springen natürlich auch solche Uhrenhersteller auf den fahrenden Zug, die sich mangels Nachfrage, Kompetenz oder Alter noch nie mit dieser Thematik beschäftigt hatten. In diesem Sinne machen ein schwarzes Zifferblatt, große Leuchtziffern und markante Leuchtzeiger noch lange keine echte Fliegeruhr aus.
Ungeachtet dessen mangelt es keineswegs an Echtem, Ursprünglichem. Die "Type XX Aeronavale" von Breguet, die "Navitimer" von Breitling, die "Santos 100" von Cartier, "Flieger II" von Doxa, die "Pioneer Caliber II" von Hanhart, die "Mark XV" von IWC, die Fliegeruhr "Automatik Serie I" von Laco, die "Avigation" von Longines, die "Speedmaster Professional" von Omega, die "GMT-Master II" von Rolex, die "Flieger 47040" von Stowa oder der "Fliegerchronograph 1941" von Tutima sind beredte Beispiele dafür, dass sich eine ruhmreiche Vergangenheit selten überlebt.

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In Zeiten, da klimatisierte Kabinen mit Druckausgleich, komfortable Sitze, spannende Filme, wohlschmeckende Bordmenüs und erlesene Getränke den Langstreckenflügen ihren Horror nehmen, vermitteln diese Flieger-Armbanduhren zumindest die Illusion einstigen Pioniergeists. Jeder Blick auf Zifferblatt und Zeiger erinnert ein wenig an dröhnende Sternmotoren, luftige Cockpits, beißenden Kerosingeruch - und eine scheinbar grenzenlose Freiheit hoch über den Wolken.
(Gisbert L. Brunner/Der Standard/rondo/25/02/2005)

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